Hinterbliebenengeld von 5000 Euro für den Sohn und 3000 Euro für die Schwiegertochter

17.05.2019 - Landgericht München II - Aktenzeichen 12 O 4540/18

Landgericht München II,

Urt. v. 17.05.2019, Az.: 12 O 4540/18

Gehört zu:

erste Instanz


eigene Zusammenfassung


Das LG München II hält für den Sohn einer tödlich verunglückten Fußgängerin bei verschulden des Fahrzeugführers ein Hinterbliebenengeld von lediglich 5.000,- € für ausreichend. Der Schwiegertochter gesteht das Gericht einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld in Höhe von 3.000,- € zu. Hierbei ist erfreulich, dass das Gericht der Schwiegertochter als sonstiger Person im Rahmen des § 844 Abs. 3 BGB einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld dem Grunde nach einräumt ohne dies weiter zu begründen. Leider begründet das Gericht allerdings auch die Ansicht zur Höhe nach nicht. Insbesondere ist festzustellen, dass das Gericht lediglich ein sehr geringes Hinterbliebenengeld zuspricht ohne sich mit der Dogmatik, der Begründung im Gesetzgebungsverfahren und den Entscheidungen anderer Gerichte auseinanderzusetzen, welche viel höhere Beträge (z.B. mindestens 10.000,- € für den Sohn) vorgesehen haben.

Dogmatisch interessant ist, dass das gericht ohne weitere Begründung davon ausgeht, dass der Anspruch auf Hinterbliebenengeld nach § 844 Abs. 3 BGB nicht beziffert werden muss, damit der Klageantrag gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt ist, sofern ein Mindestbetrag verlangt wird. Dies ist bei Schmerzensgeldansprüchen gängige Praxis und überwiegende Rechtsprechung.



Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Kläger machen mit ihren Klagen ein Hinterbliebenengeld gegen die Beklagten wegen eines tödlichen Verkehrsunfalls geltend.

1. Der Beklagte zu 1) war zum Unfallzeitpunkt Halter und Fahrer des PKW, der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist.

Der Kläger zu 1) ist der am 23.09.1970 geborene älteste Sohn der tödlich Verunfallten. Die Klägerin zu 2), geboren am 08.08.1971, ist die Ehefrau des Klägers zu 1) seit Juli 1993; die Verunfallte war ihre Schwiegermutter.

Am 23.04.2018 gegen 10.30 Uhr bog der Beklagte zu 1) mit seinem PKW in Karlsfeld von der O. -Straße kommend in die W.- Straße nach links ab. Dabei übersah er die Fußgängerin, die die W.- Straße in Fahrtrichtung des Beklagten zu 1) von links nach rechts überqueren wollte. Der PKW des Beklagten zu 1) kollidierte mit der Verunfallten, die hierdurch schwer verletzt wurde und an den Unfallfolgen in der darauf folgenden Nacht im Krankenhaus verstarb. Die alleinige, 100%-ige Haftung der Beklagten für die Unfallfolgen ist unstreitig.

Die Kläger befanden sich aufgrund der psychischen Folgen des Unfalls und des Todes der Mutter bzw. Schwiegermutter in laufender Behandlung in der Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie in Dachau. Auf das von den Klägern vorgelegte „ärztliche Attest“ vom 30.10.2018 wird Bezug genommen.

Die Beklagte zu 2) zahlte als Hinterbliebenengeld an den Kläger zu 1) vorprozessual 5.000,00 € und an die Klägerin zu 2) 3.000,00 €.

2. Die Kläger machen mit der Klage ausdrücklich „Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB“ geltend. Sie halten die bislang von der Beklagten zu 2) gezahlten Beträge für nicht ausreichend und sind der Auffassung, dass für den Kläger zu 1) ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 15.000,00 € und für die Klägerin zu 2) ein solches in Höhe von 12.000,00 € angemessen sei.

Sie behaupten, dass die Verstorbene aufgrund ihrer tunesischen Herkunft „letztlich das Oberhaupt der Familie“ gewesen sei. Der Kläger zu 1) habe ein sehr enges und besonderes Verhältnis zu seiner Mutter gehabt. Er habe sich für sie verantwortlich gefühlt. Er habe sie häufig besucht und viele Dinge des täglichen Lebens für sie erledigt. So habe auch die Mutter die beiden Kläger zusammen mit ihren beiden Kindern häufiger besucht. Man habe gemeinsam gekocht und gegessen. Aufgrund des Unfalltodes der Mutter habe der Kläger zu 1) 12 Kilogramm an Gewicht verloren. Beide Kläger befänden sich noch immer in ärztlicher Behandlung wegen des Unfalltodes.

Für die Klägerin zu 2) sei die Schwiegermutter wie eine eigene Mutter oder wie eine Freundin gewesen. Es habe fast täglich Kontakt zwischen beiden gegeben. In der Woche hätten sich beide ungefähr drei Mal getroffen.

Wegen der weiteren tatsächlichen Ausführungen der Kläger wird auf die Klageschrift vom 22.11.2018 und den Schriftsatz vom 12.02.2019 Bezug genommen.

3. Die Kläger haben mit der Klageschrift zunächst auch Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 493,08 € begehrt und dies mit Schriftsatz vom 12.02.2019 (Bl. 28 d.A.) auf Freistellung geändert.

4. Die Kläger beantragen zuletzt,

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Hinterbliebenengeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.06.2018 zu bezahlen.

2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Hinterbliebenengeld nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit dem 24.06.2018 zu bezahlen.

3. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, die Kläger von der Forderung ihrer Prozessbevollmächtigten auf Bezahlung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 493,08 € freizustellen.

5. Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

6. Die Beklagten bestreiten alle tatsächlichen Umstände hinsichtlich der unfallbedingten Beeinträchtigungen der beiden Kläger in psychischer und somatischer Hinsicht. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 18.01.2019 sowie vom 25.02.2019 Bezug genommen.

7. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze und die von ihnen eingereichten Unterlagen Bezug genommen.

Wegen des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 17.05.2019 (Bl. 48/52 d.A.) verwiesen.

Gründe

1. Die Klage ist zulässig.

Obwohl die geltend gemachten Zahlungsanträge der Hauptsache nicht beziffert sind, entspricht dies dennoch § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Denn ebenso wie bei einem Schmerzensgeldanspruch hängt die Anspruchshöhe von der Ausübung richterlichen Ermessens ab. Aus diesem Grund kann von einer Partei für die Zulässigkeit der Klage nicht verlangt werden, dass sie einen expliziten Betrag im Klageantrag nennt. Beide Kläger haben zudem einen Mindestbetrag genannt, den sie als angemessen erachten. Dies genügt für die Zulässigkeit.

2. Die Klage ist nicht begründet.

Den beiden Klägern stehen über die bereits gezahlten 5.000,00 € bzw. 3.000,00 € hinaus keine weitergehenden Ansprüche auf Zahlung von Hinterbliebenengeld gemäß §§ 844 Abs. 3 BGB, 10 Abs. 3 StVG zu.

2.1. §§ 844 Abs. 3 BGB, 10 Abs. 3 StVG sind in der seit 22.07.2017 (vgl. Art. 229 § 43 EGBGB) geltenden Fassung anzuwenden, da sich der Verkehrsunfall zeitlich danach ereignet hat.

2.2. Dem Grunde nach liegen die Voraussetzungen für Zahlung von Hinterbliebenengeld nach den genannten Vorschriften unstreitig vor.

§§ 844 Abs. 3 BGB, 10 Abs. 3 StVG regeln den Ausgleich seelischer Nachteile, die durch den Verlust einer geliebten Person für die Hinterbliebenen eintreten. Maßgeblich ist das besondere persönliche Näheverhältnis des Hinterbliebenen zu dem Getöteten.

Dieses wird jeweils nach Satz 2 der genannten Vorschriften für den Kläger zu 1) als einem Kind der Getöteten vermutet.

Zugunsten der Klägerin zu 2) geht das Gericht von ihren tatsächlichen Behauptungen hinsichtlich ihrer besonderen Nähe zur Getöteten aus. Soweit die Beklagten dies mit der Klageerwiderung bestritten haben, ist der Umstand dieses Bestreitens in Bezug auf die Zahlung eines Geldbetrages als Hinterbliebenengeld an die Klägerin zu 2) in sich widersprüchlich und nicht recht nachvollziehbar. Zumal die Klägerin zu 2), wie sich im Rahmen ihrer Anhörung ergab, der deutschen Sprache nicht mächtig ist und deswegen auf Angehörige und Verwandte, die arabisch sprechen, zur Kommunikation angewiesen war und ist. Dies belegt nachvollziehbar, dass die Schwiegermutter für die Klägerin zu 2) eine ihr besonders nahe stehende Person war, zumal dem Familienband im nordafrikanischen Lebensraum, aus dem sowohl die Getötete als auch die Klägerin zu 2) stammen, eine erhebliche Bedeutung zukommt.

2.3. Das Gericht hält für den Kläger zu 1) ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 5.000,00 € und für die Klägerin zu 2) ein solches in Höhe von 3.000,00 € für angemessen.

2.3.1. Hinsichtlich des Klägers zu 1) geht das Gericht von den tatsächlichen Behauptungen in den beiden genannten Schriftsätzen des Klägervertreters sowie dem Inhalt des ärztlichen Attestes vom 30.10.2018 aus.

Allerdings muss angeführt werden, dass der Inhalt dieses Attestes eher nichtssagend ist und insbesondere keine tatsächlichen Umstände aufführt, die die dort angeführten Schlussfolgerungen tragen könnten. Nichtsdestotrotz geht das Gericht von den dort festgestellten Schlussfolgerungen als unfallbedingt aus.

Unter Berücksichtigung aller vorgetragenen Umstände, aber auch des Umstandes, dass ein Schockschaden beim Kläger zu 1) - wie auch bei der Klägerin zu 2) - nicht vorlag, hält das Gericht 5.000,00 € für angemessen.

Insofern wird auf die Bundestagsdrucksache 18/11397 vom 07.03.2017 (Seite 11) Bezug genommen. Dort geht die Gesetzesbegründung davon aus, dass die durchschnittliche Schockschadenshöhe 10.000,00 € beträgt. Unabhängig davon, dass die Frage der Relevanz eines arithmetischen Mittels bezogen auf den Einzelfall völlig unerheblich ist, gibt es doch ein gewisses Maß vor, das auch beim Hinterbliebenengeld nicht unberücksichtigt bleiben kann.

Hinsichtlich der Grundlagen sowie der Höhe weist das Gericht auf die Entscheidung des Landgerichts Tübingen vom 17.05.2019 (3 O 108/18) hin. Dort hat das Gericht unter Randnr. 77 bis 107 (zitiert nach JURIS) die detaillierten Begründungsansätze aufgezeigt und inhaltlich überzeugend dargestellt. Das Gericht macht sich diese Ausführungen zur Vermeidung von Wiederholungen zu Eigen.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände und der von dem Kläger zu 1) behaupteten tatsächlichen Auswirkungen des Unfalltodes der Mutter auf ihn, hält das Gericht insgesamt 5.000,00 € als Hinterbliebenengeld für angemessen. Dieser Betrag ist durch die Beklagte zu 2) bezahlt. Ein Anspruch des Klägers zu 1) besteht damit nicht mehr.

Auch der Klägerin zu 2) steht kein über die bereits bezahlten 3.000,00 € hinausgehender weiterer Anspruch auf Zahlung von Hinterbliebenengeld zu.

2.3.2. Die psychische Beeinträchtigung der Klägerin zu 2) und der besondere Verlust einer Kommunikationspartnerin, mit der sie in derselben Sprache kommunizieren konnte, wiegen zwar erheblich. Allerdings sind auch bei der Klägerin zu 2) die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Schockschadens nach deutscher Rechtsprechung nicht gegeben. Auch unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung und der vorgebrachten tatsächlichen Umstände, auch des Inhalts des ärztlichen Attestes vom 30.10.2018, hält das Gericht 3.000,00 € für angemessen. Damit steht auch der Klägerin zu 2) kein Zahlungsanspruch mehr zu.

2.4. Da schon die Hauptansprüche nicht bestehen, sind auch die Nebenansprüche (Zinsen und vorgerichtliche Anwaltskosten) nicht begründet.

Kosten: § 91 Abs. 1 ZPO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 Satz 2 ZPO.




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