Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB

Mit dem Tod eines Menschen, zu dem man in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, gehen Trauer und Leid einher. Wird der Verlust und die Tötung durch einen Dritten verursacht, so sollen die dem Getöteten nahe stehenden Personen für die Beeinträchtigung des eigenen Wohlbefindens und den Verlust des ihnen nahe stehenden Menschen einen eigenen Ersatzanspruch auf angemessene Entschädigung in Geld erhalten.

Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit man überhaupt als Hinterbliebener einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld geltend machen kann?

Für Eilige das Wichtigste vorab in Kürze:

  • Wurde ein Mensch aufgrund der Handlung eines Dritten getötet?
  • Stand die Person in einem Näheverhältnis zu Ihnen (z.B. Ehegatte, Kind, Elternteil)?
  • Haben Sie durch den Tod der nahestehenden Person seelisches Leid erlitten?

Wenn Sie die Fragen mit ja beantworten konnten, dann steht Ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit ein eigener Anspruch in Höhe von 5.000,- € bis zu 25.000,- € gegen den Verursacher bzw. dessen Haftpflichtversicherung zu.

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1) Normtext

§ 844 Abs. 3 BGB lautet wie folgt:
„Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.“

2) allgemeine Voraussetzungen des § 844 BGB

Voraussetzung für einen Anspruch ist eine vollständige unerlaubte Handlung gegen einen Menschen, dessen Folge der Tod ist. Der Tod muss nicht direkt eintreten, jedoch muss die Verletzungshandlung kausal zum Tod führen. Oftmals liegt zwischen der Verletzungshandlung und dem Tod eine längere Behandlungszeit in der versucht wird das Leben des Verletzten zu retten.

Der Verletzte muss im Zeitpunkt der Verletzungshandlung einen Anspruch dem Grunde nach aus unerlaubter Handlung gegen den Schädiger haben. Unter unerlaubter Handlung werden Ansprüche aus

§ 823 Abs 1 BGB
(vorsätzlich oder fahrlässig Verletzung von Leben, Körper oder Gesundheit)

§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Schutzgesetz
(zumeist Normen des Strafgesetzbuchs, der Straßenverkehrsordnung oder sonstiger Vorschriften für Verhaltensweisen wie ärztliche Behandlungsvorschriften, Sicherungsvorschriften von Baustellen, Gerüsten, Vorschriften zur Maschinenbedienung usw.)

§ 829 BGB
(Ersatzpflicht aus Billigkeitsgründen)

§ 833 BGB
(Haftung des Tierhalters)

§ 836 BGB
(Haftung des Grundstückbesitzers)

§ 839 BGB
(Haftung aus Amtspflichtverletzung eines Beamten)

verstanden.

Außerhalb des BGB wurde eine dem § 844 BGB entsprechende Vorschrift im Produkthaftungsgesetz, dem Haftpflichtgesetz, dem Straßenverkehrsgesetz (StVG), dem Luftverkehrsgesetz sowie dem Atomgesetz integriert.

Während Ansprüche aus unerlaubter Handlung gem. § 823 ff BGB immer ein Verschulden des Schädigers voraussetzen, haftet bei Verkehrsunfällen der Halter eines Fahrzeugs gem. § 7 StVG verschuldensunabhängig. Dies gilt auch für die Haftpflichtversicherung des schädigenden Fahrzeugs gem. § 115 VVG. Besonders wichtig ist hier § 10 ff StVG, da die Ersatzpflicht verschuldensunabhängig stattfindet.

3) Tötung

Der Tod des Verletzten muss als zurechenbare Folge der Handlung durch den Dritten eingetreten sein. Die Handlung muss kausal zum Tod geführt haben. Die Kausalität kann mit zunehmendem zeitlichem Abstand zwar immer zweifelhafter werden, jedoch helfen den Anspruchsberechtigten hier die Beweislastregelungen der Zivilprozessordnung (ZPO). Der Vollbeweis gem. § 286 ZPO muss lediglich soweit geführt werden, dass ein Zusammenhang zwischen Verletzungshandlung und Körperverletzung bewiesen wird. Für die Ursächlichkeit zwischen der Verletzungshandlung, welche zu einer Körperverletzung und letztendlich zum Tod geführt hat, ist die Beweiserleichterung des § 287 ZPO anzuwenden (Bundesgerichtshof BGH, Urt. v. 22.09.1992, Az.: VI ZR 293/91). Es ist gerade nicht mehr der Vollbeweis erforderlich, sondern es reicht bereits die Überzeugung des Richters, was eine deutlich geringere Hürde ist. Die "an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit" des § 286 ZPO wird von einer höheren Wahrscheinlichkeit (§ 287 ZPO) abgelöst.

Das Verschulden des Schädigers muss sich dabei nicht auf den Tod beziehen (BT-Drs 18/11397 S. 13). Es ist daher vollkommen unerheblich, ob der Tod vorhersehbar oder auf völlig atypischen Geschehensabläufen beruht. So genügt beispielsweise der Selbstmord des nahestehenden Menschen, sofern dieser seine Ursache in der Verletzung hat (Opfer von Gewaltverbrechen oder Unfällen).

Es muss tatsächlich der Tod des Verletzten eingetreten sein. Schwerste Verletzungen oder der Hirntod als solcher genügen nicht (BT-Drs 18/11397 S. 9).

4) spezielle Voraussetzung des § 844 Abs. 3 BGB

Eine durch eine rechtswidrige und sofern erforderlich schuldhafte unerlaubte Handlung herbeigeführte Verletzung muss zum Tod des Verletzten geführt haben.

Weitere Voraussetzung für einen Anspruch ist, dass der Hinterbliebene dadurch seelisches Leid erfahren hat. Der Umfang des Leids ist maßgeblicher Aspekt bei der Höhe der angemessenen Entscheidung. Für die Höhe des Anspruchs (Angemessenheit) gilt wieder der Beweismaßstab des § 287 ZPO.

5) Anspruchsberechtigte des § 844 Abs. 3 BGB

Anspruchsberechtigt sind nur Personen, die den Verstorbenen überlebt haben, sofern sie in einem besonderen Näheverhältnis zu dem Verstorbenen standen und in der Lage sind Leid zu empfinden.

Die Entstehung seelischen Leids auf Grund des Todes wird durch das Bestehen eines Näheverhältnisses indiziert (BT-Drs 18/11397 S. 14). Der Gegenbeweis steht dem Schädiger offen, dürfte in der Regel allerdings nicht zu führen sein, sofern es keine entgegenstehende Einlassung des Anspruchsberechtigten gibt.

6) Natur des Anspruchs aus § 844 Abs. 3 BGB

Der Anspruch ist dem Schmerzensgeld ähnlich und wird daher entsprechend behandelt.

Es handelt sich um einen nicht höchstpersönlichen Anspruch. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld ist daher übertragbar, verpfändbar, pfändbar und vererblich (BT-Drs 18/11397 S. 12). Gibt es mehrere Hinterbliebene, so steht jedem einzelnen Hinterbliebenen ein entsprechender Anspruch zu. Insoweit wurde insbesondere von der Versicherungswirtschaft kritisiert, dass dadurch unkalkulierbare Risiken einhergingen, da der Personenkreis nicht begrenzt ist.

Die Ansprüche auf Hinterbliebenengeld mindern eigene Schadensersatzansprüche des Hinterbliebenen nicht. Hier ist namentlich der sog. "Schockschaden" zu nennen. Dieser entsteht kurz gesagt, wenn der Hinterbliebene durch die Nachricht des Versterbens der ihm nahestehenden Person einen behandlungsbedürftigen Schock und somit eine Gesundheitsverletzung erleidet. Ein Schock spricht viel mehr für ein besonderes persönliches Näheverhältnis und besonderes seelisches Leid, welches die angemessene Geldentschädigung erhöht und nicht mindert.

Auch der Schmerzensgeldanspruch des Getöteten, den der Hinterbliebene vom Getöteten geerbt hat, steht selbständig neben dem Hinterbliebenengeld und mindert dieses nicht. Es stellt vielmehr ein anspruchserhöhendes Indiz für ein besonderes persönliches Näheverhältnis und ein besonderes persönliches Leid dar, wenn der Hinterbliebene als Erbe vom Getöteten eingesetzt wurde.

7) Besonderes persönliches Näheverhältnis

Das besondere persönliche Näheverhältnis setzt eine besondere enge persönliche Bindung zwischen dem Getöteten und dem Hinterbliebenen voraus.

Erforderlich sind

  • eine tatsächlich gelebte soziale Beziehung

Es muss ein persönliches Näheverhaltnis bestanden haben.

  • eine über die üblichen Bindungen in der Sozialsphäre hinausgehende Intensität

Die Beziehung zum Getöteten muss etwas Besonderes gewesen sein. Die Beziehung muss eng gewesen sein. Freunde und Bekannte fallen regelmäßig genauso wenig darunter wie entfernte Verwandte.

Die Beziehung ist dann etwas Besonderes, wenn sie an das heran kommt, was normalerweise eine Beziehung zwischen Ehegatten, gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern, nichtehelichen Lebenspartnern sowie Eltern und Kindern auszeichnet.

Die Nähe muss auf der Beziehungsebene bestehen. Es ist nicht erforderlich, dass eine räumliche Nähe besteht. Die in einem besonderen Näheverhältnis stehenden Personen können durchaus räumlich getrennt voneinander leben. Leben Personen zusammen, so ist dies ein starkes Indiz für eine besondere persönliche Nähe (z.B. Patchworkfamilien; Kinder die nicht adoptiert wurden, aber mit dem Getöteten aufgewachsen sind und umgekehrt; Enkel und Großeltern die in einem Generationenhaus wohnen bzw. in enger räumlicher Nähe...). Weitere Indizien können sonstige nahe verwandtschaftliche Beziehungen oder die Erwähnung in einem Testament sein.

Das besondere persönliche Näheverhältnis muss zum Zeitpunkt der Verletzung bestanden haben.

Das besondere persönliche Näheverhältnis wird gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB vermutet, wenn es sich bei Hinterbliebenem und Verstorbenen um

  • Ehegatten
  • Lebenspartner gem. § 1 LPartG
  • Eltern und Kinder

gehandelt hat. Die Vermutung wird lediglich widerleglich vermutet. Das bedeutet, dass der Schädiger beweisen muss, dass kein Näheverhältnis bestanden hat, wenn er ein Näheverhältnis bestreitet. Als Indizien kommen in Betracht

  • laufendes Scheidungsverfahren
  • Getrenntleben mit Scheidungsabsicht (Gegenargument: Versöhnungsversuche)
  • Entfremdung zwischen Kindern und Eltern durch Kontaktabbruch
  • Enterbung
  • Straftaten unter den Personen, die ein besonderes persönliches Näheverhältnis behaupten.

Als weitere Nähebeziehungen im Sinne von § 844 Abs. 3 BGB kommen in Betracht

  • Verlobte
  • nichteheliche Lebensgemeinschaften
  • Geschwister
  • Enkel und Großeltern
  • Stiefkinder
  • Pflegekinder
  • in einem Familienverbund aufgewachsene oder seit längerer Zeit zusammen lebende Patchworkfamilien
  • lediglich ausnahmsweise auch Freunde, sofern eine besonders enge Bindung durch viel gemeinsam verbrachte Zeit besteht, gemeinsam gelebt, gearbeitet wurde und ggf. auch ein Abhängigkeitsverhältnis finanzieller Natur besteht

Sofern die besondere persönliche Nähe gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB nicht vermutet wird, hat der Anspruchsberechtigte darzulegen und ggf. durch Zeugen zu beweisen, dass er zu dem Getöteten in einem entsprechenden Verhältnis stand. Das Gericht muss dann aufgrund aller Umstände (z.B. Zusammenleben, gegenseitige Unterstützung, usw.) im Rahmen einer Gesamtschau entscheiden, ob der Anspruch besteht oder nicht.

8) angemessene Entschädigung

Dogmatisch ist das Hinterbliebenengeld ein Anspruch "sui generis" (eigener Art) und ähnelt lediglich der Geldentschädigung, die man für die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erhält. Das Hinterbliebenengeld ist weder ein Schadensersatzanspruch noch ein Schmerzensgeldanspruch, so dass sich auch deshalb trotz anderslautender Meinungen eine Anrechnung auf den Schockschaden, welcher tatsächlich ein Schmerzensgeldanspruch ist verbietet.

Bemessungsgrundlage der angemessenen Entschädigung in Geld ist also weder der "Wert" des Getöteten für den Hinterbliebenen noch die Höhe des Wegfalls von Unterhaltsleistungen oder entgangene Dienste. Einziges Kriterium ist das Ausmaß des durch den Tod zugefügten seelischen Leids. Hier ist wieder die Intensität der Beziehung in Form von Art und Dauer des Zusammenlebens, der gegenseitigen Abhängigkeit usw. entscheidend. Auch die Lebensumstände des Hinterbliebenen, insbesondere seine geistige Konstitution.

Der Gesetzgeber geht in seiner Gesetzesbegründung von durchschnittlich 10.000,- € pro Hinterbliebenen aus (BT-Drs 18/11397 S. 10). Neben den bereits benannten anspruchserhöhenden Faktoren wie Schock des Hinterbliebenen und Erbeinsetzung ist auch das Verhalten des Schädigers zu berücksichtigen, wenn es das Leid des Hinterbliebenen erhöht hat. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Tod sehr schmerzhaft war, absichtlich/grob fahrlässig herbeigeführt wurde. Auch das Verhalten des Schädigers und seiner Versicherung nach der Tat kann sich anspruchserhöhend auswirken. Hier ist im Rahmen von Schmerzensgeldansprüchen schon lange anerkannt, dass das Bestreiten der Täterschaft und zögerliches Regulierungsverhalten zu einem erhöhten Zahlanspruch führt.

Trifft den Getöteten an seinem Tod ein Mitverschulden, so ist dies entsprechend § 254 BGB anspruchsmindernd zu berücksichtigen, vgl. § 846 BGB.

Sind mehrere gleichzeitig für den Tod der nahestehenden Person verantwortlich, so haften die Schädiger als Gesamtschuldner. Ist auf die Schädiger ein unterschiedlicher Verschuldensmaßstab anzuwenden, so kommt es zur Rechtsfigur der "gestörten Gesamtschuld" gem. § 840 BGB. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn haftungsprivilegierte Personen wie Eltern und Kinder zusammen mit Dritten für den Tod der nahestehenden Person verantwortlich sind.

9) zeitliche Anwendbarkeit des § 844 Abs. 3 BGB

Die Verletzung, welche zum Tod geführt hat, (nicht die Todesfolge) muss nach dem 22.07.2017 eingetreten sein, vgl. EGBGB 229 § 43.