Tödlicher Verkehrsunfall - Kosten des Nichtantritts einer Reise sind für Hinterbliebene nicht erstattungsfähig
04.04.1989 - Bundesgerichtshof - Aktenzeichen VI ZR 97/88
Bundesgerichtshof
Urt. v. 04.04.1989, Az.: VI ZR 97/88
eigene Zusammenfassung
Zum Zeitpunkt des Urteils gab es noch kein Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB. Bei den Hinterbliebenen musste eine Gesundheitsbeschädigung i.S. des § 823 Abs. 1 BGB vorliegen, damit sie einen eigenen Schmerzensgeldanspruch und Ansprüche auf Schadensersatz geltend machen konnten. Trauer und Schmerz der Eltern nach dem Tod des Kindes durch einen fremdverschuldeten Verkehrsunfall bedingt reichen insoweit nicht aus, als sie nicht über das hinaus gehen, was regelmäßig als Kummer empfunden wird.
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Tatbestand
Die Klägerin und deren Ehemann hatten eine am 26. April 1984 beginnende Kreuzfahrt in das östliche Mittelmeer gebucht und an den Veranstalter den Reisepreis von 10.130,- DM bezahlt. Am 21. April 1984 wurde der damals 22-jährige Sohn C. bei einem Verkehrsunfall getötet. Die volle Haftung der Beklagten für den daraus entstandenen Schaden ist zwischen den Parteien nicht in Streit. Wegen der mit dem Tod des Sohnes verbundenen Belastungen traten die Klägerin und deren Ehemann die einen Tag nach der Beerdigung beginnende Reise nicht an. Rückzahlung der 10.130,- DM konnten sie vom Veranstalter nicht erlangen.
Die Klägerin hat aus eigenem und aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes neben Schadensersatz wegen entgangener Dienste ihres verunglückten Sohnes gemäß § 845 BGB den Ersatz der Aufwendungen für die nicht angetretene Reise begehrt.
Das Landgericht hat unter Abweisung des auf § 845 BGB gestützten Begehrens der Klage in Höhe von 10.130,- DM wegen des Ersatzes der Aufwendungen für die Reise stattgegeben. Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin und Anschlussberufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht als unbegründet zurückgewiesen. Mit der für sie zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren klageabweisenden Antrag hinsichtlich der Aufwendungen für die ausgefallene Reise weiter. Die Revision der Klägerin hat der Senat nicht angenommen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen für die gebuchte und dann nicht durchgeführte Reise als begründet erachtet und hierzu ausgeführt:
Die Klägerin und ihr Ehemann seien durch den Unfalltod ihres Sohnes in ihrer durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten Gesundheit verletzt worden. Zwar bestehe ein Schmerzensgeldanspruch nach allgemeiner Auffassung nur bei einem Schockschaden mit Krankheitswert. Dies besage aber nicht, dass eine psychische Beeinträchtigung tatbestandlich nur dann eine Rechtsgutverletzung i.S. von § 823 Abs. 1 BGB darstelle, wenn ihr Krankheitswert zukomme. Vielmehr genüge für einen Gesundheitsschaden jede Störung der inneren Lebensvorgänge wie die Zuführung von Kummer und Unbehagen. Der Klägerin sei auch abzunehmen, dass sie und ihr Ehemann wegen des Todes des Sohnes psychisch nicht in der Lage gewesen seien, die Reise anzutreten. Entsprechend den von der Rechtsprechung zu den Vorhaltekosten beim Nutzungsausfall eines Kraftfahrzeuges entwickelten Grundsätzen stellten auch die für die Reise getätigten Aufwendungen einen ersatzfähigen Schaden dar.
II.
Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht stand.
1. Das Berufungsgericht sieht aufgrund des festgestellten Sachverhalts die Klägerin und ihren Ehemann durch den Unfall ihres Sohnes unmittelbar in ihrer in § 823 Abs. 1 BGB geschützten Gesundheit verletzt und hat deswegen die Ersatzpflicht der Beklagten für die durch die Absage der Reise vergeblich angefallenen Reisekosten als Schadensfolge ihrer Verletzung bejaht.
a) Dem kann schon im rechtlichen Ansatz nicht gefolgt werden.
Richtig ist zwar, dass - wie die Rechtsprechung seit langem anerkannt hat (vgl. Senatsurteile vom 11. Mai 1971 - VI ZR 78/70 = BGHZ 56, 163 = VersR 1971, 905, 906 m.w.N., vom 31. Januar 1984 - VI ZR 56/82 = VersR 1984, 439 und vom 12. November 1985 - VI ZR 103/84 = VersR 1986, 240) - eine Gesundheitsbeschädigung i.S. des § 823 Abs. 1 BGB nicht nur bei physischer Einwirkung auf den Körper vorliegt, sondern auch psychisch vermittelt werden kann. Indes versagt das geltende Recht Ersatzansprüche für seelischen Schmerz, soweit dieser nicht Auswirkung der Verletzungen des (eigenen) Körpers oder der (eigenen) Gesundheit ist. Empfindungen wie Trauer und Schmerz, die ein negatives Erlebnis als solches auslöst, sind zwar jedenfalls in schweren Fällen von Störungen der physiologischen Abläufe begleitet und können für die körperliche Befindlichkeit durchaus medizinisch relevant sein. Sie schon deshalb auch rechtlich als Gesundheitsverletzung i.S. von § 823 Abs. 1 BGB anzuerkennen, widerspräche indes der Absicht des Gesetzgebers, die Deliktshaftung gerade in § 823 Abs. 1 BGB sowohl nach den Schutzgütern als auch den durch sie gesetzten Verhaltenspflichten auf klar umrissene Tatbestände zu beschränken, insbesondere Beeinträchtigungen, in denen sich die Schutzgutverletzung eines anderen bei Dritten auswirkt, soweit diese nicht selbst in ihren eigenen Schutzgütern betroffen sind, mit Ausnahme der §§ 844, 845 BGB ersatzlos zu lassen. So werden gerade in Fällen wie dem vorliegenden die nahen Angehörigen durch die Nachricht vom Unfalltod des Verunglückten in aller Regel in ihrer psychischen/seelischen Befindlichkeit empfindlich gestört werden und sich hieraus nicht nur immaterielle, sondern auch materielle Beeinträchtigungen für sie ergeben. Gleichwohl hat das Gesetz den materiellen Schadensersatz der nur "mittelbar" Geschädigten im Falle der Tötung auf die in den §§ 844, 845 BGB näher bezeichneten Schäden begrenzt. Diese gesetzgeberische Entscheidung für eine grundsätzliche Beschränkung der Deliktshaftung auf den Schaden des "unmittelbar" Verletzten würde unterlaufen, wenn derartige psychische/seelische Auswirkungen aus dem Durchleben solcher Todesfälle allein wegen ihrer Relevanz für medizinisch-wissenschaftliche Normen als Gesundheitsverletzungen nach § 823 Abs. 1 BGB zu entschädigen wären. Aus diesem Grund hat der erkennende Senat seit seiner Entscheidung in BGHZ 56, 163 in derartigen Fällen eine Ersatzpflicht für solche psychisch vermittelte Beeinträchtigungen nur dort bejaht, wo es zu gewichtigen psycho- pathologischen Ausfällen von einiger Dauer kommt, die diese auch sonst nicht leichten Nachteile eines schmerzlich empfundenen Trauerfalls für das gesundheitliche Allgemeinbefinden erheblich übersteigen und die deshalb "auch nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als Verletzung des Körpers oder der Gesundheit betrachtet werden" (vgl. auch Senatsurteil vom 31. Januar 1984 aaO; Dunz VersR 1986, 448). Aus diesem Grunde ist jedenfalls in Fllen, in denen es wie hier um die psychische Belastung von Angehörigen durch den Todesfall geht, die Ansicht des Berufungsgerichts nicht zutreffend, auch bei psychischer Beeinträchtigung genüge jede Störung der inneren Lebensvorgänge, Zufügung von Kummer und Unbehagen, ohne dass dem ein Krankheitswert zukomme. Diese Betrachtung wird auch nicht von den vom Berufungsgericht zitierten Ausführungen von Thomas in Palandt BGB, 48. Aufl., § 823 Anm. 3) b) gestützt. An der dort zur Verletzung der geistigen und körperlichen Gesundheit durch seelische Einwirkungen in Bezug genommenen Kommentarstelle (Vorbem. 5c dd vor § 249) heißt es, dass "nach dem Schutzzweck des § 823 Abs. 1 BGB ein Ersatzanspruch aber nur dann besteht, wenn die Gesundheitsbeschädigung nach Art und Schwere über das hinausgeht, was nahe Angehörige in derartigen Fällen erfahrungsgemäß an Beeinträchtigungen erleiden". Damit wird auch von Thomas unter Hinweis auf das Urteil vom 11. Mai 1971 aaO an die Rechtsprechung des Senats angeknüpft. An dieser Rechtsprechung, nach der nur solche psychische Beeinträchtigungen eine Gesundheitsbeschädigung i.S. des § 823 Abs. 1 ausmachen, die pathologisch fassbar und deshalb nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als Verletzung des Körpers oder der Gesundheit angesehen werden (vgl. auch Senatsurteile vom 31. Januar 1984 aaO und vom 12. November 1985 aaO), hält der Senat fest. Derartige Befunde hat das Berufungsgericht nicht festgestellt und sind von der Klägerin auch nicht vorgetragen.
b) Ist vorliegend also eine Verletzung der Gesundheit i.S. des § 823 Abs. 1 BGB bei der Klägerin und ihrem Ehemann als Folge des tödlichen Unfalls ihres Sohnes nicht festzustellen, so kann es dahingestellt bleiben, ob dann, wenn psychische Beeinträchtigungen nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zu einer echten Gesundheitsbeschädigung im vorgenannten Sinne führen, Ersatz von Aufwendungen für eine gebuchte und dann nicht durchgeführte Urlaubsreise vom Haftungszweck der Norm noch umfasst ist (vgl. BGHZ 55, 146, 148; 65, 170, 174; BGH Urteil vom 18. Juni 1979 - VII ZR 172/78 = NJW 1979, 2034; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, 1. Band, Allgemeiner Teil, 14. Aufl., § 29 Abs. IIc S. 503; Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 1967, S. 159) und ob etwa ein derartiger Nachteil für den Ersatz als Gesundheitsschaden schon deswegen ausscheidet, weil Eltern nach der Lebenserfahrung unabhängig davon, ob ihren psychischen und physischen Beeinträchtigungen durch den Trauerfall Krankheitswert im Sinne der Anforderungen des § 823 Abs. 1 BGB zukommt, in der Regel nicht einen Tag nach der Beerdigung ihres Kindes eine Vergnügungsreise antreten werden.
2. Das Berufungsurteil ist auch nicht auf anderer rechtlicher Grundlage haltbar.
In Erwägung zu ziehen wäre hier § 844 Abs. 1 BGB, nach dem im Fall der Tötung der Ersatzpflichtige die Kosten der Beerdigung demjenigen zu ersetzen hat, dem die Verpflichtung obliegt, diese Kosten zu tragen. Auch wenn bei diesem ausnahmsweise einem Dritten wegen dessen Verpflichtung zur Tragung der Kosten zustehenden Schadensersatzanspruch der Begriff der Beerdigung nicht im engsten Wortsinne verstanden wird (vgl. Senatsurteil vom 19. Februar 1960 - VI ZR 30/59 = BGHZ 32, 72, 73 m.w.N.) und deswegen über das zur Leichenbestattung schlechthin Notwendige hinaus auch das zu berücksichtigen ist, was sonst zu den Ausgaben für eine den Verhältnissen entsprechende angemessene und würdige Ausgestaltung der Bestattung gehört, so würde der Zurechnungszusammenhang hier schon dadurch in Frage gestellt, dass die Urlaubsreise - unabhängig vom Zeitpunkt der Beerdigung - nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin wegen ihrer psychischen Belastung durch den Todesfall nicht durchgeführt worden ist.
Aber auch, wenn auf die Beerdigung abgestellt wird, liegen Aufwendungen für eine gebuchte und dann nicht angetretene Reise außerhalb der Haftungsnorm des § 844 Abs. 1 BGB. Denn als Ausnahme von dem im Deliktsrecht geltenden Grundsatz, dass an sich nur dem unmittelbar Geschädigten Ersatzansprüche zustehen, sind die dem mittelbar Geschädigten Ersatz gewährenden Vorschriften der §§ 844, 845 BGB restriktiv auszulegen. Das bedeutet, dass für den Umfang der Ersatzpflicht i.S. des § 844 Abs. 1 BGB auf die Verpflichtung des Erben zur Tragung der Beerdigungskosten abzustellen ist (vgl. BGHZ 61, 234; RGRK/Boujong, BGB § 844 Rd 19; Palandt/Thomas aaO § 844 Anm. 3) und unter den Begriff der Beerdigungskosten jedenfalls nicht solche Aufwendungen zu fassen sind, die sich nur deswegen als Schaden darstellen, weil die durch sie erkaufte Leistung wegen der Teilnahme an der Beerdigung nicht in Anspruch genommen werden kann. Der Ersatz solcher Aufwendungen würde, selbst wenn nach § 844 Abs. 1 BGB ausnahmsweise auch die Erstattung von Reisekosten naher Angehöriger zu der Beerdigung in Betracht kommen kann (vgl. Senatsurteil vom 19. Februar 1960 aaO), den vom Gesetzgeber gesteckten Haftungsrahmen überschreiten. An einer weitergehenden Auslegung des § 844 Abs. 1 BGB sieht der Senat sich aufgrund des Gesetzes und der rechtssystematischen Stellung des § 844 Abs. 1 BGB im Deliktsrecht gehindert.
III.
Auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht das Berufungsurteil. Es war daher aufzuheben. Da die Sache zur Entscheidung reif ist (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO), war unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen.