keine Haftungsprvilegierung nach SGB bei tödlichem Arbeitsunfall

02.09.2020 - Landgericht Mainz - Aktenzeichen 5 O 249/19

Landgericht Mainz

Urt. v. 02.09.2020, Az.: 5 O 249/19


eigene Zusammenfassung:

Die Eltern machen Schadensersatz u.a. Hinterbliebenengeld, Schockschaden nach einem tödlichen Verkehrsunfall gegenüber dem Fahrer, dem Halter und der Haftpflichtversicherung des den Tod herbeiführenden Fahrzeugs geltend. Im vorliegenden Fall ist die Besonderheit, dass es sich um einen Arbeitsunfall gehandelt hat. Der gestorbene Sohn war Beifahrer. Der Fahrer war ein Arbeitskollege. Der Unfall ereignete sich als Wegeunfall, sprich auf dem Weg zurück von der Arbeitsstelle zur Firma.

Bei Arbeitsunfällen sind die Regelungen des SGB anzuwenden. Bei tödlichen Unfällen während der Arbeit oder auf dem Arbeitsweg tritt die Berufsgenossenschaft ein. Dies hat eine Menge an positiver Konsequenzen. Der Verletzte hat bessere Krankenversorgung. Im Fall eines tödlichen Unfalls wird eine entsprechende Rente bezahlt. Allerdings ist nach §§ 104, 105 SGB VII eine Haftung begrenzt. Der Verletzte bzw. an seinen Verletzungen gestorbene Arbeitnehmer kann kein Schmerzensgeld verlangen.

Das Gericht hat im vorliegenden Fall entschieden, dass sich die Haftungspriveligierung des §§ 104, 105 SGB VII auch auf das Hinterbliebenengeld der Angehörigen auswirken soll. Das Gericht hat einen Anspruch verneint.

Wie so häufig werden in der Juristerei eine Vielzahl an Meinungen vertreten. Es wird mit guten Gründen, u.a. von mehreren Oberlandesgerichten vertreten, dass die Entscheidung des Landgerichts falsch ist. Hinterbliebenen steht auch im Falle eines Arbeitsunfalls ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld zu. Die Haftungspriveligierung soll sich gerade nur auf Ansprüche des Kollegen und Verstorbenen auswirken und gerade nicht auf Ansprüche Dritter.

Der Haftungsausschluss gemäß SGB bei einem Arbeitsunfall erfasst nicht Schmerzensgeldansprüche von Angehörigen oder Hinterbliebenen eines Versicherten aufgrund so genannter Schockschäden (BGH, Urteil vom 6. Februar 2007 - VI ZR 55/06). Die sich aus den Regelungen der §§ 104, 105 SGB VII ergebende Haftungsbeschränkung (Sperrwirkung) bei Arbeitsunfällen ist auf Ansprüche auf Hinterbliebenengeld i.S.v. § 844 Abs. 3 BGB nicht anwendbar (OLG Koblenz, Urteil vom 21.12.2020, Az.: 12 U 711/20).

Die Hinterbliebenen können bei einem tödlichen Arbeitsunfall gerade keinen Schmerzensgeldanspruch des Verstorbenen oder die Beerdigungskosten geltend machen. Die Hinterbliebenen können allerdings nach einem tödlichen Unfall auf dem Weg zur Arbeitsstelle oder bei Verschulden eines Kollegen sehr wohl erfolgreich ein eigenes Hinterbliebenengeld geltend machen.



Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Klägerin zu 1 und der Kläger zu 2 machen Entschädigungsansprüche im Hinblick auf den Tod ihres Sohnes geltend. Sie sind die Eltern des am 04. Juni 2018 tödlich verletzten X.

Am 04. Juni 2018 gegen 15:41 Uhr war der Sohn der Kläger zusammen mit seinem Kollegen, dem Beklagten zu 3 als Fahrer, und er als Beifahrer mit einem Sprinter auf der Bundesautobahn A 61 unterwegs. Halter des vorgenannten Sprinters war der Beklagte zu 2, welcher eben diesen PKW bei der Beklagten zu 1 versichert hatte. Bei Tageslicht und sommerlichen Temperaturen war die Fahrbahn zum Unfallzeitpunkt trocken, es herrschte normales Verkehrsaufkommen. Vor dem vom Beklagten zu 3 geführten Sprinter fuhr ein Sattelschlepper und einem Sattelzugauflieger. Der Fahrer des Sattelschleppers verlangsamte verkehrsbedingt innerhalb von 20 Sekunden über eine Wegstrecke von etwa 450 Meter seine Fahrgeschwindigkeit um 5 km/h von ca. 86 km/h auf zuletzt 81 km/h. In Höhe von Kilometer 303,8 fuhr der Beklagte zu 3 aus Unachtsamkeit nach links versetzt und mit einer seitlichen Überdeckung von nur etwa 40 cm mit deutlicher Überschussgeschwindigkeit in einer Größenordnung von 110 bis 120 km/h von hinten auf die linke hintere Aufliegerseite des vor ihm fahrenden Sattelzuges auf. Bei dem seitlich versetzten Anstoß gegen die vergleichsweise starre Aufliegerecke wurde der obere Bereich der rechten vorderen Karosserieseite des Sprinters stark deformiert und nach hinten verschoben. Dabei wurde der auf dem Beifahrersitz sitzende X von der nach hinten abgeknickten und in Richtung der Fahrgastzelle verschobenen rechten A-Säule an seiner rechten Kopf- und Halsseite getroffen, eingeklemmt und so schwer verletzt, dass er noch am Unfallort in Folge der Verletzungen verstarb. Der Verstorbene war nicht angeschnallt.

Die Kläger standen zu ihrem getöteten Sohn in einem besonderen Näheverhältnis. Dieser war zum Unfallzeitpunkt gerade einmal 24 Jahre alt und lebte noch zeitweise im elterlichen Haushalt bzw. wurde von dort aus unterstützt. Zuletzt verbrachte er einen gemeinsamen Urlaub mit den Eltern. Durch die Nachricht vom Tode des Sohnes sind die Kläger schwer getroffen.

Gegen den Beklagten zu 3 wurde am 27. Februar 2019 ein Strafbefehl wegen fahrlässiger Tötung erlassen, der rechtskräftig wurde.

Die Kläger sind der Auffassung, ihnen stünden Ansprüche auf Hinterbliebenengeld zu. Diese seien nicht gemäß den §§ 104, 105 SGB VII ausgeschlossen.

Die Kläger beantragen,

1. Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 1 eine angemessene in das Ermessen des Gerichts gestellte Entschädigung von nicht weniger als 10.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Kläger zu 2 eine weitere angemessene in das Ermessen des Gerichts gestellte Entschädigung von nicht weniger als 10.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

3. Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, den Klägern die für die außergerichtliche Geltendmachung ihrer Ansprüche entstandenen Rechtsanwaltskosten abzüglich der anrechenbaren Verfahrensgebühren in Höhe von 1.436,21 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten sind der Auffassung, ihre Haftung sei aufgrund der Vorschriften der §§ 104, 105 SGB VII ausgeschlossen.

Sie tragen außerdem vor, dass den Verstorbenen ein Mitverschulden treffe, da er nicht angeschnallt gewesen sei.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Akte der Staatsanwaltschaft Mainz 3200 Js 15347/18 wurde zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Gründe

Die Klage ist nicht begründet.

Den Klägern steht weder ein Anspruch auf Schmerzensgeld gemäß § 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 i.V.m. § 222 StGB, §§ 18 Abs. 1, 11 S. 2 StVG, noch ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB zu.

Ein Schmerzensgeldanspruch scheidet deshalb aus, da Voraussetzung eine schwere Beeinträchtigung beim Tod eines nahen Angehörigen vorliegen muss. Ein solcher Schockschaden muss als Gesundheitsschädigung pathologisch fassbar sein und nach Art und Schwere deutlich über das hinausgehen, was Nahestehende als mittelbar Betroffene in derartigen Fällen erfahrungsgemäß an Beeinträchtigungen erleiden (Palandt, BGB, Vorbemerkung vor § 249 Randnummer 40). Einen solchen Vortrag haben die Kläger nicht gehalten, worauf im Termin zur mündlichen Verhandlung seitens des Gerichts hingewiesen wurde. Der Klägervertreter erklärte, ein Anspruch auf Schmerzensgeld sei von ihm auch nicht geltend gemacht.

Die Kläger haben auch keinen Anspruch gegen die Beklagten auf Zahlung von Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB.

Der Anspruch ist aufgrund der Haftungsprivilegierung gemäß § 105 SGB VII ausgeschlossen.

Diese Norm regelt die Haftungsbeschränkung bei der Geltendmachung von Ansprüchen des Geschädigten, seiner Angehörigen und Hinterbliebenen gegenüber anderen Betriebsangehörigen. Der § 105 SGB VII schließt alle Ansprüche der vorgenannten Personen aus, die auf Ersatz des Personenschadens gerichtet sind (vgl. BGH, VI ZR 55/06). Die Haftung ist auf Vorsatz beschränkt.

Der Haftungsausschluss setzt voraus, dass es sich bei dem Unfall um einen Arbeitsunfall nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII handelt, das heißt ein Unfall, der in Folge einer versicherten Tätigkeit passiert. Diese Voraussetzung ist vorliegend gegeben. Der Beklagte zu 3 war gemeinsam mit dem Verstorbenen auf dem Rückweg zur Firma des Beklagten zu 2.

Die Haftungsbeschränkung der §§ 104 ff. SGB VII erstreckt sich auch auf das Hinterbliebenengeld aus § 844 Abs. 3 BGB (Burmann/Hess/Hühnermann/Jahnke BGB, § 844 Randnummer 103). Dies deshalb, da nach herrschender Meinung auch das Hinterbliebenengeld dem Normzweck der §§ 104 ff. unterfällt, Auseinandersetzungen und Verschulden des Arbeitgebers und Mitverschulden des Arbeitnehmers zu vermeiden. Eine solche Auseinandersetzung würde bei tödlichen Arbeitsunfällen dann zwischen dem Arbeitgeber und den Hinterbliebenen ausgetragen (erf. K/Rolfs SGB VII, § 104 Randnummer 15). Die Haftungsbegrenzung dient dem Schutz des Betriebsfriedens und bindet die Hinterbliebenen mit ein. Der vom Gesetzgeber bezweckte Schutz vor Auseinandersetzungen und Konflikten hat den Hintergrund, dass neben der Frage des Verschuldens des Schädigers, das im vorliegenden Fall fest steht, auch ein Mitverschulden des Getöteten diskutiert werden müsste, was vorliegend seitens der Beklagten im Hinblick auf das fehlende Anschnallen des Verstorbenen auch eingewandt wird. Die Auseinandersetzung mit dem Mitverschulden des Geschädigten hat der Gesetzgeber sowohl für den Fall, dass eine Verletzung vorliegt, als auch bei tödlichen Unfällen, vermeiden wollen.

Ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB ist daher vorliegend ausgeschlossen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

Der Streitwert wird auf 20.000,00 € festgesetzt.


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