Hinterbliebenengeld bei vorsätzlichen Straftaten zu erhöhen
09.12.2021 - Landgericht Nürnberg-Fürth - Aktenzeichen 5 Ks 103 Js 2698/20
Landgericht Nürnberg-Fürth
Urt. v. 09.12.2021, Az.: 5 Ks 103 Js 2698/20
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eigene Zusammenfassung:
Das Gericht hatte im Rahmen eines Strafverfahrens im Adhäsionsverfahren über die Ansprüche der Hinterbliebenen zu entscheiden. Das Gericht führt aus, dass in gängiger Rechtsprechung mittlerweile ein Hinterbliebenengeld für das seelische Leid in Höhe von durchschnittlich 10.000 € festsetzen werden. Maßgeblich ist die tatsächlich gelebte soziale Beziehung zwischen dem Hinterbliebenen und dem Verstorbenen. Bei Mord und Totschlag wird dieser Betrag mittlerweile bereits regelmäßig verdoppelt.Die Gerichte begründen dies mit einem Vergleich gegenüber tötdlichen Verkehrsunfällen. Das bei vorsätzlich begangenen Straftaten gegen das Leben empfundene seelische Leid und die Trauer bei Menschen, die nahestehende Personen aufgrund einer vorsätzlich begangenen Straftat verloren haben, stellt einen zusätzlichen Umstand dar, der den empfundenen Verlust und die damit einhergehenden seelischen Leiden noch weiter verschlimmert. Somit ist der für das seelische Leid zu bezahlende Ersatzbetrag regelmäßig zu erhöhen.
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Tenor
1. Der Angeklagte ist schuldig des Mordes in zwei Fällen.
2. Der Angeklagte wird deswegen zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt.
3. Die besondere Schwere der Schuld wird festgestellt.
4. Der Angeklagte wird verurteilt, an die Adhäsionsklägerin X1 20.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Oktober 2021 zu zahlen.
5. Der Angeklagte wird verurteilt, an den Adhäsionskläger X2 15.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Oktober 2021 zu zahlen.
6. Der Angeklagte wird verurteilt, an die Adhäsionskläger X2 und X1 11.166,00 €nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Oktober 2021 zu zahlen.
7. Es wird festgestellt, dass die Forderungen in den Ziffern 4, 5 und 6 auf Ansprüchen aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung beruhen.
8. Im Übrigen wird von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag vom 20. Oktober 2021 abgesehen.
9. Das Urteil ist in Ziffer 6 vorläufig vollstreckbar. In den Ziffern 4. und 5. ist das Urteil vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrages.
10. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und die durch den Adhäsionsantrag der Adhäsionskläger X1 und X2 vom 20. Oktober 2021 angefallenen gerichtlichen Kosten. Er trägt weiter die notwendigen Auslagen, die den Adhäsionsklägern X1 und X2 durch ihren Adhäsionsantrag vom 20. Oktober 2021 entstanden sind sowie die notwendigen Auslagen der Nebenkläger.
Angewendete Strafvorschriften: §§ 211, 53, 57a StGB
Gründe
Der Angeklagte vermutete eine tatsächlich nicht bestehende Liebesbeziehung zwischen seiner seit sieben Jahren von ihm getrennten Ehefrau und dem Taxifahrer Y Diese vermeintliche Beziehung seiner Ehefrau empfand er als Verletzung seiner Ehre und der Familienehre der beiden gemeinsamen Söhne. Wütend hierüber beschloss er deswegen seine Ehefrau und Y zu töten, um so die Familienehre wiederherzustellen. Dazu bewaffnete er sich mit einer Pistole und ließ sich von Y mit dem Taxi zum Haus seiner Ehefrau fahren. Dort rief er seine Ehefrau an, die kurz darauf herauskam und sich zu ihnen ins Taxi setzte. Als sie nach einem kurzen Streit das Taxi verließ und zurück in Richtung ihres Hauses ging, zog der Angeklagte die bis dahin verborgen gehaltene Pistole und schoss ihr in den Kopf, ohne dass sie mit dem Angriff rechnete oder sich ihm entziehen konnte. Anschließend schoss er dem ebenso völlig überraschten, noch im Taxi sitzenden Y in den Kopf. Die Kammer hat den Angeklagten, der die Taten als solche einräumt, wegen Mordes in zwei Fällen zu einer lebenslangen Strafe als Gesamtstrafe verurteilt. Sie hat dabei jeweils die Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe festgestellt. Soweit der Angeklagte in der Hauptverhandlung angab, aus Sorge um eine finanzielle Übervorteilung seiner Ehefrau durch Y gehandelt zu haben, wird er v.a. durch seine aus der Haft versandten Briefe an seine Söhne und seine Äußerungen nach der Tat überführt. Die Kammer hat weiter die besondere Schwere der Schuld des Angeklagten festgestellt und den als Nebenklägern auftretenden Sohn und der Ehefrau des Y auf ihre Adhäsionsanträge hin Hinterbliebenengeld und Schadensersatz zugesprochen.
A. Feststellungen
1) Zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten
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F. Adhäsionsantrag
Die Adhäsionskläger X1 und X2 haben für die Tötung des Y Anspruch auf Hinterbliebenengeld aus § 844 Abs. 1, 3 BGB sowie als Erben auf Schadensersatz für die Beschädigungen am Taxi des Y in Höhe von 11.166,00 € aus §§ 823 Abs. 1, 1922 Abs. 1 BGB. Der Angeklagte war auf ihre Adhäsionsanträge vom 20. Oktober 2021 zu Ziffer 1., 2., 4. und 5. ohne sachliche Prüfung der Rechtslage im Umfang seines Anerkenntnisses zu verurteilen (§ 406 Abs. 2 StPO). Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird insoweit gemäß § 313b Abs. 1 ZPO analog abgesehen.
Die Kammer hat die Höhe des Hinterbliebenengelds für die Adhäsionsklägerin X1 auf 20.000,00 € und für den Adhäsionskläger X2 auf 15.000,00 € festgesetzt (§ 844 Abs. 3 S. 1 BGB). Bei der Festlegung der Höhe hat die Kammer zunächst den vom historischen Gesetzgeber erklärten Normzweck berücksichtigt, nämlich die in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis zum Getöteten stehenden Personen durch das Hinterbliebenengeld in die Lage zu versetzen, ihre durch den Verlust dieses besonders nahestehenden Menschen verursachte Trauer sowie ihr seelisches Leid zu lindern (vgl. Gesetzentwurf vom 07. März 2017, BT-Drucksache 18/11397, S.8). Der Wortlaut des § 844 Abs. 3 BGB stellt die Festsetzung der Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts, das eine angemessene Entschädigung aussprechen soll (§ 287 ZPO). Aus den Gesetzgebungsmaterialien ist insoweit zur Vorstellung des Gesetzgebers von der erforderlichen Höhe der Entschädigung, mit welcher Trauer und seelisches Leid für die Tötung eines Menschen gelindert werden können, nur ein mittelbarer Ansatzpunkt zu entnehmen. Der Gesetzgeber ist 2017 bei der Abschätzung der Folgekosten des Gesetzentwurfs in Anlehnung an die Schockschadenrechtsprechung des Bundesgerichtshofes davon ausgegangen, dass die Gerichte bei der Tötung von Angehörigen durchschnittlich 10.000,00 € festsetzen werden (vgl. aaO, S. 11). Die Kammer hat sich bei ihrer Entscheidung auf dem Boden dieser gesetzgeberischen Intention weiter an den gelebten Beziehungen der Adhäsionskläger mit dem getöteten Y orientiert. Dabei hat sie berücksichtigt, dass der Getötete für seine Witwe, die Adhäsionsklägerin X1, der zentrale Lebensmittelpunkt war, und auch der Adhäsionskläger X2 eine enge Beziehung zu seinem Vater pflegte, welche sich mit der Geburt seiner Kinder und der Rolle des Y als Großvater noch weiter intensiviert hatte. Die Kammer hat schließlich berücksichtigt, dass der Angeklagte Y absichtlich getötet hat und ihn daher anders als bei fahrlässigen Tötungen, beispielsweise im Straßenverkehr, ein höherer Verschuldensgrad trifft. Bei Tötungen im Straßenverkehr hat die Rechtsprechung in der Vergangenheit den angehörigen Eltern bzw. Ehepartnern Beträge zwischen 3.000,00 € und 15.000,00 € zugesprochen (vgl. LG Leipzig, Urteil v. 08. November 2019, Az. 5 O 758/19; LG Tübingen, Urteil v. 17. Mai. 2019, Az. 3 O 108/18; LG München II, Urteil v. 17. Mai 2019, Az. 12 O 4540/18). Die Kammer hält es für angemessen über diese Beträge hinauszugehen, da ihr bekannt ist, dass das empfundene seelische Leid und die Trauer bei Menschen, die nahestehende Personen aufgrund einer vorsätzlich begangenen Straftat verloren haben, einen zusätzlichen Umstand darstellt, der den empfundenen Verlust und die damit einhergehenden seelischen Leiden noch weiter verschlimmert.
Von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag im Übrigen hat die Kammer abgesehen, da mit der Festsetzung von Rentenansprüchen weitere Ermittlungen verbunden wären, so dass sich die Entscheidung darüber nicht für das Adhäsionsverfahren eignet (§ 406 Abs. 1 S. 4 StPO).
G. Kostenentscheidung
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 465, 472 Abs. 1 StPO, 91 Abs. 1 ZPO.