Grundurteil und Feststellungsanträge der Adhäsionskläger auf Hinterbliebenengeld nach Mord
18.05.2020 - Bundesgerichtshof - Aktenzeichen 6 StR 48/20
Bundesgerichtshof
Urt. v. 18.05.2020, Az.: 6 StR 48/20
Gehört zu
Potsdam, LG, 14.06.2019 - 486 Js 28458/18 21 Ks 4/18
eigene Zusammenfassung
Der BGH stellt klar, dass die Anspruchsberechtigung für das Hinterbliebenengeld ein besonders persönliches Näheverhältnis und somit eine tatsächliche soziale Beziehung zueinander voraussetzt. Die Vermutung des § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB ist widerleglich. Wird im Verfahren festgestellt, dass nur eine formelle familiäre Beziehung zwischen dem Getöteten und dem Hinterbliebenen bestanden hat, so besteht kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld.
Tenor
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 14.06. 20 a) im Schuldspruch dahin klargestellt, dass die Angeklagten im Fall II.2.b. des Mordes in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig sind, b) aufgehoben, soweit das Landgericht Adhäsionsentscheidungen getroffen hat. Von einer Entscheidung über die Adhäsionsanträge wird abgesehen.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Jeder Beschwerdeführr hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Die durch das Adhäsionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Die sonstigen durch das Adhäsionsverfahren entstandenen Auslagen trägt jeder Beteiligte selbst.
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagten des Mordes schuldig gesprochen, den Angeklagten 1 darüber hinaus der zweifachen Vergewaltigung, jeweils in Tateinheit mit Freiheitsberaubung. Gegen den Angeklagten 2 hat es eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Den - in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkten - Angeklagten 1 hat es zu einer Freiheitsstrafe von 15Jahren verurteilt und dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Daneben hat es Adhäsionsentscheidungen getroffen. Die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten bleiben im Wesentlichen erfolglos. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
1. Entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts war in der Urteilsformel klarzustellen (§ 354 Abs. 1 StPO analog), dass die Angeklagten tateinheitlich zwei Menschen ermordet haben. Dies entspricht ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 212) der von der Schwurgerichtskammer vorgenommenen konkurrenzrechtlichen Bewertung.
2. Die Adhäsionsentscheidungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
Der vom Landgericht dem Grunde nach als gerechtfertigt erachtete Anspruch auf Hinterbliebenengeld setzt gemäß § 844 Abs. 3 Satz 1 BGB voraus, dass der Hinterbliebene zur Zeit der Verletzung zum Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis gestanden hat. Dieses Erfordernis gilt auch für die in § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB genannten nahen Angehörigen. Die Anspruchsberechtigung für das Hinterbliebenengeld knüpft nämlich nicht an eine formelle (familienrechtliche) Beziehung des Hinterbliebenen zum Getöteten, sondern an deren tatsächliche soziale Beziehung zueinander an (vgl. BT-Drucks. 18/11397 S. 12 f.; BeckOGK/Eichelberger, BGB, Stand 1.2.2020, § 844 Rn. 207). Bei § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB handelt es sich nicht um eine Fiktion des besonderen persönlichen Näheverhältnisses, sondern lediglich um eine gesetzliche Vermutung im Sinne von § 292 ZPO (vgl. BeckOGK/Eichelberger, aaO, § 844 Rn. 206; s. auch LG Tübingen NZV 2019, 626).
Die Vermutung des § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB hat das Landgericht "im Ergebnis der Beweisaufnahme" hinsichtlich aller Adhäsionskläger als widerlegt angesehen, weil sich deren Beziehung zu den Mordopfern "gerade in den Jahren vor deren Tod als schwierig und nicht eng im Sinne eines regelmäßig gelebten persönlichen Kontakts und besonderen persönlichen Näheverhältnisses gestaltet" habe. Damit fehlt es an den Anspruchsvoraussetzungen. Allein Trauer über den Tod des entgegen der Vermutung des § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB nicht in einem besonderen Näheverhältnis zum Hinterbliebenen stehenden nahen Angehörigen genügt den gesetzlichen Vorgaben nicht.
Mithin sind die Feststellungsaussprüche insgesamt aufzuheben. Eine Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung allein wegen ihres zivilrechtlichen Teils kommt nicht in Betracht; vielmehr ist nach § 406 Abs. 3 Satz 3 und 4 StPO insoweit von einer Entscheidung abzusehen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 23.04.2019 - 2 StR 79/19 Rn. 11; vom 19.06.2019 - 5 StR 249/19 Rn. 4).
3. Es beschwert die Angeklagten nicht, dass das Landgericht das Mordmerkmal der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln nicht geprüft und eine tateinheitlich mit dem Mord zusammentreffende (versuchte) schwere Brandstiftung verneint hat. Entsprechendes gilt, soweit die Kammer betreffend den Angeklagten 1 für die Tat vom 10.01.2018 die Voraussetzungen § 177 Abs. 7 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 1 StGB nicht erkennbar geprüft hat.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1, §472a StPO.