Ausgangsurteil Schadensersatzansprüche naher Angehöriger wegen Schockschäden und der Anwendbarkeit der für tödliche Verkehrsunfälle entwickelten Grundsätze

26.10.2016 - Landgericht Köln - Aktenzeichen 25 O 326/15

Landgericht Köln

Urt. v. 26.10.2016, Az.: 25 O 326/15    

Gehört zu:

OLG Köln, 12.07.2017 - 5 U 144/16

BGH, 21.05.2019 - VI ZR 299/17



eigene Zusammenfassung

Letztendlich wurde in diesem Fall vom BGH festgeschrieben, dass die zum "Schockschaden" entwickelten Grundsätze auch dann anzuwenden sind, wenn der Tod nicht durch einen Verkehrsunfall, sondern eine fehlerhafte ärztliche Behandlung verursacht wurde. Eine Rechtfertigung dafür, die Ersatzfähigkeit von "Schockschäden" im Falle ärztlicher Behandlungsfehler weiter einzuschränken als im Falle von Unfallereignissen, besteht grundsätzlich nicht.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i. H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin macht Ansprüche wegen psychischer Beeinträchtigungen infolge der Behandlung ihres Ehemannes im Hause der Beklagten geltend.

Der Ehemann der Klägerin befand sich von 27.4.2012 bis 5.6.2012 in Behandlung im Hause der Beklagten. Nach Durchführung einer Koloskopie und Polypektomie am 27.4.2012 wurde am 28.4.2012 eine Darmperforation festgestellt. Nach einem zunächst konservativen Therapieversuch wurden am 30.4.2012 eine Laparoskopie und am 3.5.2012 eine Laparotomie durchgeführt. Zwei außergerichtlich eingeholte Gutachten kamen zu dem Ergebnis, dass das Auftreten der Darmperforation schicksalshaft war, die Versorgung der Darmperforation, insbesondere durch den laparoskopischen Eingriff vom 30.4.2012, jedoch behandlungsfehlerhaft erfolgte. Der Ehemann der Klägerin und die Haftpflichtversicherung der Beklagten schlossen am 10.2.2015 gegen Zahlung von 90.000,00 Euro einen Abfindungsvergleich.

Die Klägerin behauptet, infolge der fehlerhaften Behandlung ihres Ehemannes im Hause der Beklagten eine massive psychische Dekompensation erlitten zu haben. Sie befinde sich seit Juli 2012 in nervenärztlicher und psychotherapeutischer Behandlung und müsse Medikamente einnehmen. Ihr Ehemann habe sich in einem lebensbedrohlichen Zustand befunden. Sie leide an Schlafstörungen, ständiger Angst vor schlechten Nachrichten, rezidivierender Übelkeit und panischer Angst vor Krankenhäusern. Die Wohnung traue sie sich kaum noch zu verlassen. Sie sei nicht mehr erwerbsfähig und nicht mehr in der Lage, den Haushalt eigenständig zu versorgen. Der Grad der Behinderung beträgt 50.

Die Klägerin ist der Ansicht, sie habe gegen die Beklagte einen eigenen deliktischen Anspruch, insbesondere auf Zahlung eines Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 15.000,00 Euro.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes, eigenes Schmerzensgeld wegen ihrer psychischen Beeinträchtigungen mit Krankheitswert auf Grund der fehlerhaften Behandlung ihres Ehemannes, des Herrn H, im Zeitraum vom 28.04. bis 5.6.2012 zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 15.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.02.2015;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden sowie unvorhersehbare künftige immaterielle Schäden, die ihr auf Grund der o.g. Diagnose in Folge der fehlerhaften Behandlung ihres Ehemannes entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet immaterielle und materielle Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach. Es lägen keine psychischen Beeinträchtigungen vor, jedenfalls bestünde kein Kausalzusammenhang mit der Behandlung des Ehemannes der Klägerin im Hause der Beklagten. Bei dem mit dem Ehemann der Klägerin geschlossenen Vergleich handele es sich um einen Risikovergleich. Eine diesbezügliche Haftung dem Grunde nach sei niemals festgestellt worden.

Die Beklagte ist der Ansicht, ein eigener Schmerzensgeldanspruch der Klägerin komme unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und der von ihnen überreichten Urkunden Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch gemäß §§ 823 Abs. 1, 249 ff., 253 Abs. 2 BGB wegen eines psychisch vermittelten Gesundheitsschadens.

Das Vorbringen der Klägerin ist unschlüssig. Der von der Klägerin behauptete Sachverhalt vermag die von ihr begehrte Rechtsfolge nicht auszulösen. Für eine Beweisaufnahme durch Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens besteht daher entgegen des klägerischen Antrags kein Anlass.

De lege lata kann nach § 253 Abs. 2 BGB grundsätzlich nur derjenige, der selbst eine Verletzung erlitten hat, vom Schädiger Ersatz verlangen (vgl. dazu nur Palandt/Grüneberg, 74. Auflage 2015, § 253 BGB, Rn. 4, 11). Eng begrenzte Ausnahmen bestehen im Deliktsrecht in Form der hier nicht einschlägigen §§ 844, 845 BGB. Einen indirekten Schmerzensgeldanspruch des nicht selbst fehlerhaft ärztlich behandelten Angehörigen, der mit dem Betroffenen mitgelitten und große Ängste ausgestanden hat, sieht das Gesetz hingegen nicht vor (vgl. ebenso OLG Naumburg, Urteil vom 11.12.2008, Az. 1 U 12/08, zitiert nach juris). Die Kammer verkennt nicht, dass in Rechtswissenschaft und Politik seit einiger Zeit die Einführung eines Angehörigenschmerzensgeldes diskutiert wird. Zur Schaffung einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage bedarf es jedoch des Tätigwerdens des Gesetzgebers.

Auch nach den Grundsätzen der sogenannten Schockschaden-Rechtsprechung steht der Klägerin kein Anspruch gegen die Beklagte zu. Anerkannt sind solche Ansprüche bei einer seelischen Erschütterung durch die Nachricht vom Tode eines nahen Angehörigen. Vorliegend ist der Ehemann der Klägerin nicht verstorben. Die von der Klägerin vorgetragene Fehlbehandlung des Ehemannes und deren behauptete Folgen sind auch nicht mit dem Tode eines nahen Angehörigen als Ursache psychischer Beeinträchtigungen gleichzusetzen. Dies gilt umso mehr, als der behauptete Behandlungsfehler in seiner Eigenschaft als Auslöser psychischer Belastungen nicht von dem übrigen Behandlungsverlauf isoliert betrachtet werden kann. Wie die Klägerin unter Bezugnahme auf die außergerichtlich eingeholten Gutachten selbst vorträgt, trat die Darmperforation schicksalshaft auf. Das Auftreten derartiger Komplikationen und deren nachfolgende Behandlungsbedürftigkeit ist dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen. Der behauptete Behandlungsfehler als auslösendes Ereignis lässt sich vor diesem Hintergrund nicht in einem Maße von dem übrigen Behandlungsgang abgrenzen, das eine Gleichsetzung mit einem punktuellen Ergebnis wie dem Tod des Angehörigen oder dessen schwerer Verletzung im Straßenverkehr nahelegen würde.

Den von Seiten der Klägerin in Bezug genommenen gerichtlichen Entscheidungen liegen Konstellationen zugrunde, die nicht mit dem hier in Rede stehenden Sachverhalt vergleichbar sind. Teils war es zum Tode des Patienten gekommen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 16.9.2010, Az. 5 W 30/10; LG Paderborn, Urteil vom 5.8.2016, Az. 2 O 42/14; OLG Koblenz, Urteil vom 3.3.2005, Az. 5 U 12/05, zitiert nach juris), teils zu schwersten Behinderungen eines Neugeborenen infolge einer fehlerhaften Geburtsleitung (LG Köln, Urteil vom 12.12.2007, Az. 25 O 592/01).

Seelische Erschütterungen, die durch den Tod eines Angehörigen oder ein vergleichbares Ereignis ausgelöst werden, begründen im Übrigen auch dann nicht ohne Weiteres eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB, wenn sie von Störungen der physiologischen Abläufe begleitet werden und für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sind. Sie müssen vielmehr über das Maß hinausgehen, dem man in solchen Fällen erfahrungsgemäß ausgesetzt ist (BGH, Urteil vom 27.1.2015, Az. VI ZR 548/12, Rn. 7). Auch dies ist vorliegend nicht der Fall, ohne dass es nach den vorstehenden Ausführungen noch entscheidungserheblich darauf ankäme. Die vorgetragenen psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin als zutreffend unterstellt, ergibt sich insbesondere unter Berücksichtigung der weiteren belastenden Faktoren wie der eigenen schweren Krankheitsgeschichte kein außergewöhnliches Maß psychischer Belastungen. Die von der Kammer eingesehenen Unterlagen behandelnder Ärzte, insbesondere der Frau M geben mancherlei Anhalt für eine Behandlungsbedürftigkeit der Klägerin, indes keinen Anhalt für eine Behandlungsbedürftigkeit aufgrund Behandlungsfehlers der Beklagtenseite.

Aus den vorstehenden Gründen ist auch der Feststellungsantrag unbegründet.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Der Streitwert wird auf 40.000,00 Euro (Antrag zu 1: 15.000,00 Euro Antrag zu 2: 25.000,00 Euro) festgesetzt.


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