7500 Euro Hinterbliebenengeld bei tödlichem Verkehrsunfall nach verbotswidrigem Überholen
10.02.2022 - LG Neuruppin - Aktenzeichen 1 O 110/21
Landgericht Neuruppin
Urt. v. 10.02.2022, Az.: 1 O 110/21
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eigene Zusammenfassung:
Das Gericht sprach aufgrund des Einzelfalls aus, dass ein Hinterbliebenengeld von 7.500 € an die Tochter der bei dem Unfall tödlich verunglückten Frau zu bezahlen ist.
In die Erwägung wurde eingestellt, dass die Verstorbene die Mutter der Klägerin ist. Die Verstorbene allerdings bereits 82 Jahre alt war, was anspruchsmindernd zu berücksichtigen sei. Anders als bei dem Verlust eines Elternteils von minderjährigen Kindern, sei die Klägerin nicht mehr auf die Fürsorge ihrer Mutter angewiesen.
Bei der Bestimmung der Höhe des Hinterbliebenengeldes ist wie beim Schmerzensgeld gemäß § 253 Abs. 2 BGB, die Ausgleichs- und die Genugtuungsfunktion zu berücksichtigen. Die Genugtuungsfunktion ist bei Verkehrsunfällen mit leichter Fahrlässigkeit nicht anzuwenden. Im vorliegenden Fall wurde der tödliche Verkehrsunfall grob fahrlässig durch ein verkehrswidriges Überholen verursacht, so dass das Hinterbliebenengeld durch die Genugtuungsfunktion zu erhöhen war.
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Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag i.H.v. 2.000,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.7.2021 zu zahlen.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtlich Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 157,80 € zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 2/3 und der Beklagte 1/3.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf restliches Hinterbliebenengeld aus Anlass eines Verkehrsunfalls vom 17.3.2020 auf der Bundesstraße in Anspruch. Die Mutter der Klägerin, geboren am 7.12.1937, befuhr mit ihrem Pkw die Bundesstraße aus Richtung kommend und war auf dem Weg zur Klägerin. Der Beklagte kam aus der Gegenrichtung und befand sich aufgrund eines verkehrswidrig durchgeführten Überholmanövers auf der Fahrspur der Mutter der Klägerin. Er kollidierte frontal mit deren Fahrzeug. Infolge des Unfalls verstarb die Mutter der Klägerin.
Außergerichtlich hat der Haftpflichtversicherer des Beklagten auf das von der Klägerin beanspruchte Hinterbliebenengeld 5.500,00 € gezahlt.
Die Klägerin behauptet, dass sie ein besonders inniges Verhältnis zu ihrer Mutter gehabt habe, was sich daran zeige, dass sie sich mit ihr regelmäßig alle ein bis zwei Wochen getroffen habe, viele Feste zusammen gefeiert worden seien und man auch mehrfach gemeinsam Urlaub gemacht habe.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Genugtuungfunktion, mindestens ein Betrag von 12.000,00 € angemessen sei.
Die Klägerin beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Hinterbliebenengeld, dass ein Betrag i.H.v. 6.000,00 € nicht unterschreiten sollte, nebst 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen.
2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 1.890,56 € zu bezahlen
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass die geleistete Zahlung unter Berücksichtigungs aller Umstände angemessen sei. Für die Gebührenrechnung des Klägervertreters sei allenfalls eine Mittelgebühr von 1,3 zu erstatten. Für eine Gegenstandswert von 5.500,00 € sei dies vorgerichtlich durch Zahlung von 571,43 € bereits erfolgt.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat in der Sache nur teilweise Erfolg.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten gemäß § 844 Abs. 3 BGB unter Abzug der vorprozessual geleisteten Zahlung von 5.500,00 € lediglich ein weiteres Hinterbliebenengeld von 2.000,00 € zu.
Unter Abwägung aller relevanten Umstände ist im vorliegenden Fall ein Hinterbliebenengeld in einer Gesamthöhe von 7.500,00 € als angemessen zu betrachten.
Zu berücksichtigen ist bei der Festsetzung der Höhe, ähnlich wie beim Schmerzensgeld gemäß § 253 Abs. 2 BGB, die Ausgleichs- und die Genugtuungsfunktion der Zahlung. Letztere tritt hier auch nicht in den Hintergrund, weil aufgrund des Geschehensablaufs nicht davon auszugehen ist, dass der Beklagte nur mit leichter Fahrlässigkeit handelte. Zu beachten ist, dass Normzweck des Hinterbliebenengeldes weder der Ausgleich für den Verlust des Lebens ist, noch in Geld zu bemessen, was der Verlust eines Menschen für seine Hinterbliebene bedeutet. Entsprechend der Gesetzesmaterialien geht es allein um eine Anerkennung des seelischen Leids wegen der Tötung eines besonders nahestehenden Menschen und damit primär um eine symbolische Geste (vergleiche Begründung Regierungsentwurf Hinterbliebenengeld BT Drucksache 18/11397, 1).
Unter Berücksichtigung aller Umstände und der Hinzuziehung vergleichbarer gerichtlicher Entscheidungen erscheint aus Sicht der Kammer ein Hinterbliebenengeld in Höhe von insgesamt 7.500,00 € als angemessen (vergleiche LG Tübingen, NZV 2019, 626; OLG Koblenz, Versicherungsrecht 2021,320;LG München II, DAR 2020, 464).
Entsprechend dem Vortrag der Klägerin geht die Kammer davon aus, dass diese in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis zu ihrer bei dem Unfall ums Leben gekommenen Mutter stand. Allerdings liegt der Fall einer, wie hier, 52-jährigen Tochter im Verhältnis zu ihrer 82-jährigen Mutter anders als bei dem Verlust eines Elternteils von minderjährigen Kindern, die auf deren Fürsorge angewiesen waren. Dies wirkt sich mindernd auf die Höhe des Hinterbliebenengeldes aus.
Berücksichtigt worden ist auch, dass der Beklagte infolge seines verkehrswidrigen Fahrverhaltens bei dem Überholmanöver den Unfall in grob fahrlässiger Weise verursacht hat. Dagegen ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht belegt, dass der Beklagte die Kollision vorsätzlich herbeigeführt haben könnte.
Nach all dem ergibt sich ein verbleibender Zahlungsanspruch von 2.000,00 €.
Der zugesprochene Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten bemisst sich nach einem berechtigten Gegenstandswert von 7.500,00 €, wobei die Kammer im Hinblick auf die nicht überdurchschnittliche Schwierigkeit der Angelegenheit eine Geschäftsgebühr von 1,3 als angemessen erachtet, mithin einschließlich Post- und Telekommunikationspauschale und Umsatzsteuer einen Betrag von 729,23 €.Unter Berücksichtigung der vorgerichtlichen Zahlung von 571,43 € verbleibt eine offene Forderung von 157,80 €.
Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 92 Abs. 1, 709 ZPO.