20.000, - Euro Hinterbliebenengeld für den Vater

22.10.2021 - Landgericht Dessau-Roßlau - Aktenzeichen 4 O 220/20

Landgericht Dessau-Roßlau

Urt. v. 22.10.2021, Az.: 4 O 220/20

eigene Zusammenfassung:

Auch im vorliegenden Fall hat ein weiteres Gericht betont, dass es sich bei dem in der Gesetzesbegründung zu § 844 Abs. 3 BGB genannten Betrages von 10.000, - € um einen Orientierungswert handelt. In Verkehrsunfällen tendieren die Haftpflichtversicherungen dazu lediglich 7.500, - € an Hinterbliebenengeld zu bezahlen. Dies mit dem Argument, dass in der Gesetzesbegründung zwar auf die bei Schockschäden üblichen 10.000, - € verwiesen wurde, wobei erwähnt wurde, dass zu berücksichtigen sei, dass es für das Hinterbliebenengeld keiner Gesundheitsbeeinträchtigung bedarf. Die Versicherer folgern somit zum eigenen Nutzen, dass ein Hinterbliebenengeld, welches "nur" die seelischen Leiden betrifft weniger sein muss, als ein Schmerzensgeld für Schockschäden, welches auch eine körperliche Verletzung und ggf. eine ärztliche Behandlung erfordert. Die überwiegende Meinung nimmt den Betrag von 10.000, - € allerdings als Grundlage an. Der Wert wird eher als "Normalfall" betrachtet und wie im vorliegenden Fall bei entsprechender Argumentation teilweise deutlich erhöht.


So fand auch im vorliegenden Fall eine deutliche Erhöhung des Orientierungsbetrages für Hinterbliebenengeld eines Vaters für den Verlust seines Kindes auf 20.000, - € statt.

Bei Verlust eines Kindes infolge eines Gewaltdeliktes kann die Leistung eines Hinterbliebenengeldes in Höhe von 20.000,00 € für jeden Elternteil angemessen sein.



Tenor

1. Das Versäumnisurteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 07.07.2020 wird wie folgt aufrechterhalten:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.289,62 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % Punkten jährlich über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 20.05.2020 zu zahlen.

2. Der Beklagte wird weiterhin verurteilt, an den Kläger ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 20.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % Punkten jährlich über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 20.05.2020 zu zahlen.

3. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 1.358,86 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus ab dem 01.07.2020 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird das Versäumnisurteil vom 07.07.2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

3. Der Beklagte hat vorab die Kosten seiner Säumnis zu tragen. Im Übrigen tragen die Kosten des Rechtsstreits der Kläger zu 8 % und der Beklagte zu 92 %.

4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil darf nur gegen Leistung dieser Sicherheit fortgesetzt werden.



Tatbestand

Der Kläger beansprucht von dem Beklagten Ersatz von Beerdigungskosten und Hinterbliebenengeld. Er ist der Vater des X, der durch eine Straftat des Beklagten vom 29.09.2017 zu Tode gekommen ist.

X war unverheiratet und kinderlos. Er wurde im Wege der gesetzlichen Erbfolge zu je ½ von seinem Vater, dem Kläger, und der Mutter beerbt.

X begab sich am Nachmittag des 29.09.2017 gemeinsam mit einer Bekannten in das Einkaufszentrum. Noch vor dem Eingang des Einkaufszentrums traf er auf den Beklagten, der dort mit weiteren Personen verweilte und hatte eine zunächst verbale Auseinandersetzung mit diesem, die damit endete, dass der Beklagte ihm einen mit Wucht geführten Faustschlag ins Gesicht versetzte, worauf X den Halt unter den Füßen verlor und mit dem Hinterkopf auf den Betonboden stürzte.

Das Tatgeschehen ist per Videokamera aufgezeichnet worden, da der Ein- und Ausgang des Einkaufszentrums, vor dem sich das Geschehen ereignet hat, videoüberwacht ist.

X zog sich durch den Sturz auf dem Hinterkopf ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit massiven Hirnblutungen und einem Bruch der Schädelbasis zu. Eine Notoperation blieb erfolglos und X verstarb noch am Abend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Tathergangs wird auf die Feststellungen unter Ziffer II. des Urteils der 2. Großen Strafkammer - Jugendkammer/Schwurgericht - des Landgerichts ... vom 26.03.2020 aus der beigezogenen Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft ..., Az: 164 Js 12700/18, Bezug genommen.

Wegen der Videoaufzeichnung wird auf die Lichtbilder im Sonderband II der beigezogenen Strafakten, Az. 164 Js 12700/18, verwiesen.

Aufgrund dieser Tat wurde der Beklagte von der 2. Großen Strafkammer - Jugendkammer/Schwurgericht - des Landgerichts ... am 26.03.2020 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von 2 Jahren, welche zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Die von der Klägerin und Herrn ... sowie von dem Beklagten eingelegte Revisionen wurden mit Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 03.11.2020 verworfen mit der Maßgabe, dass der Beklagte der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig ist.

Der Kläger hat mit anwaltlichem Schreiben vom 31.03.2020 unter Fristsetzung bis zum 15.04.2020 (Anlage K 6, Anlagenband) den Beklagten zur Anerkennung von Schadensersatzansprüchen und eines Hinterbliebenengeldes erfolglos aufgefordert.

Der Kläger verlangt zunächst die Erstattung angefallener Beerdigungskosten in Höhe von 5.289,62 €, die sich aus den Kosten des Bestattungshauses gemäß Rechnung vom 20.11.2017 in Höhe von 3.244,01 €, den Steinmetzarbeiten in Höhe von 576,61 €, Trauerfloristikkosten in Höhe von 194,00 € und den Friedhofsbestattungsgebühren des Pfarramt in Höhe von 1.275,00 € zusammensetzen, wobei wegen der Einzelheiten auf die zugrundeliegenden Rechnungen, Anlagen K 1 bis K 4, Anlagenband Bezug genommen wird.

Zwar seien die Rechnungen - so behauptet der Kläger - auf den Namen seiner geschiedenen Ehefrau ausgestellt worden; gleichwohl habe er sie aber bezahlt, so dass er auch Erstattung der bezahlten Kosten verlange. Seine geschiedene Ehefrau sei mit der alleinigen Geltendmachung durch ihn einverstanden, wie sich aus ihrer Einverständniserklärung vom 18.03.2019 (Anlage K 5, Anlagenband) ergebe.

Zudem mache er einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld geltend und meint, dass ein Betrag in Höhe von 20.000,00 € aufgrund des vorliegenden vorsätzlichen Gewaltdeliktes angemessen sei. Er habe - so behauptet der Kläger weiter - ein liebevolles und inniges Verhältnis zu seinem Sohn, seinem einzigen Kind, gehabt. Sein Sohn habe ihn in den letzten 12 Monaten vor seinem Tod nahezu täglich zu Hause, mindestens jedoch viermal die Woche, besucht. Sein Sohn, habe bis er 25 Jahre alt gewesen sei, bei ihm gewohnt. Da er handwerklich sehr begabt gewesen sei, habe er ihm bei dem Ausbau seines Wohnanwesens auch sehr geholfen. Umgekehrt habe er in seinem Sohn seinen Lebenssinn gesehen. Sie hätten auch viele Freizeitaktivitäten, wie z.B. Angeln und Fußballspielen, gemeinsam gemacht. Erhöhend bei der Bemessung des Hinterbliebenengelds sei zudem zu berücksichtigen, dass sein Sohn durch ein Gewaltverbrechen zu Tode gekommen sei.

Hinsichtlich der Tat vom 29.09.2017 habe es sich - so behauptet der Kläger weiter - um eine Serie von Schlägen mit den nicht behandschuhten Fäusten gegen den ungeschützten Kopf von X gehandelt, von welchem zumindest einer mit äußerster Wucht geführt worden sei. X habe den Beklagten weder verbal noch in anderer Weise provoziert und habe lediglich in milder und angemessener Nothilfehandlung zugunsten seiner Begleiterin, der Zeugin, in Richtung des Beklagten ausgeholt und diesen allenfalls ohne weitere Folgen touchiert. Der Beklagte hingegen habe sich in keiner Zeit in einer Notwehrsituation befunden, sondern vielmehr den in Rückwärtsbewegung befindlichen X verfolgt und diesen mit mehreren Faustschlägen getroffen, wobei einer dieser Schläge so wuchtig gewesen sei, dass er X ungebremst mit dem Hinterkopf auf den harten Straßenbelag aufgeschlagen habe und schließlich verstorben sei.

Der Schlag des Beklagten sei so wuchtig platziert gewesen, dass X keine Chance gehabt habe. Dieser habe weder körperliche noch psychische Beeinträchtigungen aufgewiesen, welche eine angemessene Abwehrreaktion bei dem besonders wuchtigen Faustschlag des Beklagten verhindert hätten. Die im Strafverfahren vernommenen Zeugen, die den ganzen Tag mit X zusammen verbracht habe, habe keinerlei Bewegungs- und Bewusstseinseinschränkungen bei X feststellen können.

Anspruchserhöhend bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldes sei zudem zu berücksichtigen, dass der Beklagte nach der Tat bewusstlos und in hilfloser Lage auf dem Boden zurückgelassen hatte, um aus Angst vor der Strafverfolgung zu fliehen. Besonders verletzend für den Kläger sei es auch, dass der Beklagte älter als 21 Jahre sei, unter Verwendung falscher Papiere im Strafverfahren als Heranwachsender galt und so in den Genuss des für diesen wesentlich günstigeren Jugendstrafrechts gelangt sei.

X sei als sein Sohn gesetzlich unterhaltspflichtig gemäß § 1601 BGB gewesen. Sollte er daher in Zukunft unterhaltsbedürftig werden, falle der vom Beklagten getötete X gegenüber ihm als Unterhaltspflichtiger aus, sodass dieser mögliche zukünftige kausale Schaden - so ist der Kläger der Ansicht - einen Feststellunganspruch begründe.

Zudem habe er Anspruch auf Erstattung der ihm angefallenen außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.617,65 €.

Der Kläger hatte ursprünglich beantragt, den Beklagten zur Zahlung der Beerdigungskosten in Höhe von 5.289,62 €, eines Hinterbliebenengeldes von 20.000,00 €, der Zahlung von Rechtsanwaltskosten von 1.617,65 € sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige materielle Schäden zu verurteilen, dem das Gericht aufgrund der Säumnis des Beklagten mit Versäumnisurteil vom 07.07.2020 antragsgemäß entsprochen hat.

Gegen das ihm unter dem 11.07.2020 zugestellte Versäumnisurteil hat der Beklagte mit einem bei Gericht am 22.07.2020 eingegangenen Anwaltsschriftsatz Einspruch eingelegt.

Der Kläger beantragt,

das Versäumnisurteil vom 07.07.2020 aufrechtzuerhalten.

Der Beklagte beantragt,

das Versäumnisurteil vom 07.07.2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Er behauptet, der Tathergang sei entgegen der Angabe des Kläger dergestalt gewesen, dass der erste Schlag der körperlichen Auseinandersetzung von dem verstorbenen Sohn des Klägers ausgegangen sei, während daraufhin reflexartig und unmittelbar die Abwehrreaktion des Beklagten eingesetzt habe, die nach wenigen Sekunden bereits beendet gewesen sei. Der später Verstorbene habe jedoch wegen der hohen Konzentration an Amphetaminen und Metamphetaminen sowie Antidepressiva während des Taumelns nach hinten jegliche Abfangbewegung während des Sturzes unterlassen, sodass er ungebremst mit dem Hinterkopf auf den Boden geschlagen sei.

Wegen der vom später Verstorbenen herbeigeführten Notwehrsituation und dem hohen Maß des Mitverschuldens an dessen Tod habe er auch gegen das Urteil des Landgerichts ... mit dem primären Ziel des Freispruchs Revision eingelegt. Er habe den später Verstorbenen auch nicht in hilfloser Lage zurückgelassen. Vielmehr habe er eine derartige Lage genauso wenig erkannt wie die Bekannte des später Verstorbenen, die ebenfalls später den Tatort verlassen habe, weil sie die Verletzungen des später Verstorbenen nicht so als gravierend beurteilt habe.

Aus der hochgradigen Drogenabhängigkeit des Verstorbenen ergebe sich auch, dass dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit zu keinem Zeitpunkt in der Zukunft zum Unterhalt des Klägers hätte beitragen können.

Hinsichtlich des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld sei zudem zu berücksichtigen, dass der Verstorbene bereits seit mehr als 10 Jahren nicht mehr bei dem Kläger wohne und insoweit von einem engen Näheverhältnis zwischen dem Kläger und dessen verstorbenen Sohn nicht auszugehen sei, zumal der Verstorbene stark drogenabhängig und mehrfach straffällig geworden sei, indem er wegen Eigentums- und Vermögensdelikten vom Amtsgericht strafrechtlich verurteilt worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft ..., Az: 22 Kls 164 Js 12700/18, beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme gemacht.

Das Gericht hat zudem die Zeugin ... vernommen und den Kläger persönlich angehört, wobei wegen der Einzelheiten auf das Sitzungsprotokoll vom 28.04.2021 (Bl. 143 ff. d.A.) Bezug genommen wird.

Das Gericht hat zudem das in den Strafakten 22 Kls 164 Js 12700/18 enthaltene Video mit den Parteivertretern in Augenschein genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist in dem tenorierten Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.

Aufgrund des Einspruchs des Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 07.07.2020 ist der Prozess in die Lage vor dessen Säumnis zurückgesetzt worden (§ 342 ZPO). Der Einspruch ist zulässig, er ist statthaft sowie form- und fristgerecht im Sinne von §§ 338 ff. ZPO eingelegt worden.

In der Sache hat der Einspruch jedoch nur teilweise Erfolg.

I.

Der Kläger kann namens der Erbengemeinschaft mit seiner geschiedenen Ehefrau Zahlung der angefallenen Beerdigungskosten in Höhe von 5.289,62 € gemäß § 844 Abs. 1 BGB von dem Beklagten verlangen.

Nach dieser Vorschrift hat der Ersatzpflichtig im Falle der Tötung die Kosten der Beerdigung demjenigen zu ersetzen, welchen die Verpflichtung obliegt, diese Kosten zu tragen. Diese Verpflichtung obliegt nach § 1968 BGB den Erben, zu denen der Kläger als Vater des Verstorbenen unstreitig gehört.

Der Kläger hat auch substantiiert dargetan und durch Erklärung seiner geschiedenen Ehefrau, die Zeugin ..., vom 18.03.2019 nachgewiesen, dass sie mit der alleinigen Geltendmachung der Beerdigungskosten durch den Kläger einverstanden ist.

Der Kläger hat die Kosten mit Vorlage der jeweiligen Rechnungen substantiiert dargetan; auch dass diese von ihm beglichen worden sind. An der Höhe ist nichts zu beanstanden; insoweit steht dem Kläger ein Erstattungsanspruch zu.

II.

Dem Kläger steht darüber hinaus gegen den Beklagten ein Anspruch auf Zahlung eines Hinterbliebenengeldes in Höhe von 20.000,00 € gemäß § 844 Abs. 3 BGB zu.

Nach dieser erst mit Gesetz vom 17.07.2017 (BGBl. I, S. 2421) eingeführten Vorschrift "hat der Ersatzpflichtige dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war".

Diese Voraussetzungen liegen hiervor.

Der Kläger ist als leiblicher Vater des Getöteten Hinterbliebener. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird daher gesetzlich vermutet, §§ 844 Abs. 3 Satz 2 BGB.

Der Beklagte hat diese Vermutung nicht widerlegt.

Soweit er ein Näheverhältnis bestritten hat unter der Behauptung, dass der Sohn bereits über 10 Jahre aus der Wohnung des Klägers ausgezogen sei und aufgrund seiner Drogenabhängigkeit und Straffälligkeit keine enge Verbindung zu dem Kläger mehr gehabt habe, ist dies durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt worden. Vielmehr steht nach der glaubhaften Bekundung der Zeugin ... und den Angaben des Klägers in desssen persönlicher Anhörung fest, dass der Kläger die gesamte Zeit, auch zuletzt, ein enges persönliches Verhältnis zu seinem verstorbenen Sohn hatte.

Die Zeugin ... hat glaubhaft bekundet, dass X zu seinem Vater, dem Kläger, ein sehr inniges Verhältnis hatte. Nach der Trennung der Kindseltern habe er die ganze Zeit, bis er 2012 nach Dessau gezogen sei, bei seinem Vater in Oranienbaum gewohnt. Sie hätten ein sehr enges Vater-Sohn-Verhältnis gehabt und hätten auch in ihrer Freizeit zusammen etwas unternommen, wie gemeinsam Angeln und Fußballspielen. Während der Umbauphase des Hauses des Klägers habe X, der gerade in der Lehre gewesen sei, seinem Vater sehr oft geholfen. Der Umbau hätte sich mindestens über ein Jahr erstreckt und X habe viele Bauarbeiten am Haus mit erledigt, da er handwerklich sehr begabt gewesen sei.

Anhaltspunkte für eine behauptete Drogenabhängigkeit oder antisoziale Verhaltensmuster aufgrund von Straffälligkeit des Verstorbenen haben sich nach der Einvernahme der Zeugin ... nicht ergeben.

Hiernach habe X eine abgeschlossene Berufsausbildung gehabt. 2016 sei er zwar arbeitslos gewesen. Er habe aber zuletzt mit seiner Freundin eine gemeinsame Wohnung neu eingerichtet und umgebaut und beabsichtigt, eine Familie zu gründen. Drogen habe der verstorbene Sohn zwar gelegentlich genommen; dies seien jedoch kleinere Sachen gewesen und eine starke Abhängigkeit oder Ausfallerscheinungen deswegen habe sie nie beobachtet.

Das Gericht folgt dieser glaubhaften Aussage der Zeugin ..., die in sich stimmig und widerspruchsfrei war. Die Zeugin war auch glaubwürdig. Allein dass es sich bei der Zeugin um die geschiedene Ehefrau des Klägers handelt, lässt noch nicht den Schluss zu, dass sie hier die Unwahrheit gesagt haben könnte.

Ihre Bekundungen werden zudem durch die ebenfalls glaubhaften Angaben des Klägers in deren persönlicher Anhörung in der Sitzung vom 28.04.2021 bestätigt, der ein sehr inniges Verhältnis zu seinem Sohn schilderte. Sein Sohn habe, bis er 25 Jahre alt war, bei ihm mit gewohnt. Sie haben nicht nur gemeinsame Freizeitaktivitäten durchgeführt, sondern auch viele persönliche wertvolle Gespräche geführt, die ihre Vater-Sohn-Beziehung inniger und fester gemacht habe.

Hiernach ist von einem besonderen persönlichen Näheverhältnis des Klägers zu seinem Sohn auszugehen. Soweit der Beklagte schließlich noch eingewandt hat, ein Näheverhältnis sei aufgrund von Straffälligkeiten des Sohnes nicht mehr vorhanden gewesen, hat dies die Beweisaufnahme gerade nicht ergeben. Selbst wenn X in der Vergangenheit wegen Eigentums- und Vermögensdelikten vom Amtsgericht strafrechtlich verurteilt worden ist, hat dies nach der Zeugenbekundung an dem persönlichen Näheverhältnis zwischen Vater und Sohn nichts geändert.

Der Kläger hat durch den Tod seines Sohnes am 29.09.2017 auch "seelisches Leid" im Sinne von § 844 Abs. 3 BGB erlitten, wie er es glaubhaft und überzeugend in seiner Anhörung angegeben und das Gericht hiervon einen persönlichen Eindruck gewonnen hat. Auch die Zeugin ... bekundete, dass das Ereignis den Kläger sehr mitgenommen habe und dass dieser in solchen Sachen "sehr weich und mitfühlend gestrickt sei".

Der Kläger hat damit Anspruch auf Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB, welches das Gericht vorliegend in Höhe von 20.000,000 € für angemessen hält.

Das Gesetz billigt dem Hinterbliebenen eine "angemessene" Entschädigung zu, was bedeutet, dass das Gericht das Hinterbliebenengeld nach eigenem Ermessen, das es unter Billigkeitsgesichtspunkten ausübt, festsetzt. Konkrete Vorgaben hierzu enthalten weder das Gesetz (§ 844 Abs. 3 BGB) noch die Gesetzesbegründung.

Maßstab dürfte jedoch die konkrete Beeinträchtigung (seelisches Leid) des Hinterbliebenen sein. Entsprechende allgemeingültige Bemessungskriterien dürften jedoch nur sehr schwer zu finden sein, zumal schon die Beurteilung und Bewertung bei körperlichen und psychischen Schäden im Zusammenhang mit der Schmerzensgeldmessung mit vielen Schwierigkeiten verbunden ist. Es ist unverkennbar, dass durch den Verlust naher Angehöriger seelische Beeinträchtigungen von besonderer Komplexität verursacht werden können. Die Dauer von seelischem Leid ist nicht prognostizierbar. Deshalb wäre es falsch, lediglich schematische Bemessungen z.B. nach der Art des Verwandtschaftsverhältnisses oder ähnlichen objektiven Kriterien zu entwickeln, ohne den konkreten Einzelfall zu berücksichtigen (vgl. LG Tübingen, NZV 2019, 626; OLG Schleswig, DAR 2021, 332).

Bei der konkreten Bemessung der Höhe des Hinterbliebenengeldes ist zudem § 287 ZPO anwendbar (vgl. OLG Schleswig, a.a.O.), wobei als Kriterien im Einzelnen u.a. das Alter der getöteten Person und der Verwandtschaftsgrad, die individuelle Qualität der Beziehung, individuelle Umstände des Sterbens mit Auswirkung auf die Trauerbewältigung, subjektive Umstände der Bewältigung der Trauer, Intensität des Näheverhältnisses, wirtschaftliche Folgelasten (vgl. Geigel, a.a.O.), aber auch das Verhalten des Schädigers, wenn es leidenserhöhend wirkt sowie die Mitverantwortung des Getöteten (vgl. Palandt, Rd. 25 zu § 844 BGB) als Bemessungsfaktoren zu berücksichtigen sind.

Das Gericht geht ferner davon aus, dass der in der Gesetzesbegründung genannte Betrag von 10.000,00 € nach dem Sinn und Zweck der neu eingefügten Regelung des § 844 Abs. 3 BGB keine "Obergrenze", sondern lediglich einen "Anker" bzw. eine "Orientierungshilfe" für die Bemessung darstellt (so auch LG Tübingen, a.a.O.; OLG Schleswig, a.a.O.; OLG Koblenz, NJW 2021, 168).

Wagner (in Schadenersatz in Todesfällen - Das neue Hinterbliebenengeld, NJW 2017, 2641ff.) sieht für den Verlust eines Kindes - wie hier vorliegend - einen Betrag von 10.000,00 € als Untergrenze für eine Entschädigung an.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass sich die Bemessung des Hinterbliebenengeldes auch in das stimmige Gesamtgefüge der deutschen und europäischen Rechtsprechung zum Schmerzens-/Hinterbliebenengeld einfügen muss. Das europäische Entschädigungsniveau liegt in vergleichbaren Fällen deutlich höher (vgl. Huber, Hinterbliebenengeld - Wer kann wie viel verlangen?, VersR 2020, 385 - 393, S. 390 m.w.N.). Im Nachbarland Österreich werden z.B. nach der Rechtsprechung des OGH zwischen 10.000,00 € und 25.000,00 € Hinterbliebenengeld gezahlt. In der Schweiz bewegen sich die Entschädigungssummen vielfach im Bereich zwischen 20.000 und 40.000 sFr. In England ist der Betrag gesetzlich auf 12.980 Pfund für alle Angehörigen gesetzlich festgeschrieben (vgl. Gerhard Wagner, a.a.O.)

Unter Berücksichtigung all dieser Erwägungen bemisst das Gericht vorliegend das dem Kläger zustehende Hinterbliebenengeld auf 20.000,00 €.

Anspruchserhöhend wirkt dabei zunächst, dass der Kläger als Vater seines verstorbenen Sohnes zum allerengsten Angehörigenkreis gehörte und es für Eltern nichts Schlimmeres gibt, als ihr eigenes Kind zu begraben und diese Konstellation daher nach der Rechtsprechung die Obergrenze des Hinterbliebenengeldes markiert. Der Getötete war auch das einzige Kind des Klägers. X hatte mit seinen 30 Jahren, als er verstarb, noch das Leben vor sich. Nach den glaubhaften Angaben des Klägers in seiner persönlichen Anhörung vom 28.04.2021 war X gerade dabei, seine Wohnung mit seiner Freundin umzubauen und ein Familienleben zu gründen.

Der Kläger hatte auch - wie bereits dargetan - trotz des Erwachsenenalters seines verstorbenen Sohnes und dessen eigenem Haushalt bis zuletzt ein sehr enges inniges Vater-Sohn-Verhältnis und regelmäßigen persönlichen Kontakt zu seinem Sohn gehabt, wie die Zeugin ... es glaubhaft bekundete.

Erschwerend wirkt auch, dass der Kläger seinen Sohn durch eine Straftat, hier eine vorsätzliche Gewalttat, verloren hat, indem der Beklagte eine vorsätzliche Körperverletzung verwirklichte, gleichwohl der Tod von X vom Vorsatz des Beklagten hinsichtlich der Körperverletzung nicht umfasst war. Nach dem persönlichen Eindruck, den das Gericht vom Kläger in dessen Anhörung gewonnen hat, leidet dieser sehr unter dem Tod seines Sohnes und insbesondere auch darunter, dass er diesen durch ein vorsätzliches Gewaltdelikt verloren hat und in seinen Augen die dem Beklagten verhängte Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung, nicht angemessen ist. Dieses Leid hat das Gericht anspruchserhöhend gewertet. Gleichwohl kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob der Beklagte über 21 Jahre gewesen ist oder nicht. Das Strafgericht hat hierzu Feststellungen getroffen, dem weiteren Beweisantrag des Klägers auf Einholung eines Altersgutachtens über den Beklagten war nicht nachzugehen, da es auf die Bemessung der Höhe des Hinterbliebenengeldes keinen Einfluss hat.

Ein eigenes Mitverschulden des Getöteten ist - entgegen der Ansicht des Beklagten - vorliegend nicht anspruchsmindernd zu berücksichtigen.

Soweit der Beklagte behauptet, der Verstorbene habe aufgrund einer zu hohen Konzentration an Amphetaminen und Metamphetaminen sowie Antidepressiva jegliche Abfangbewegung während des Taumelns nach hinten unterlassen und sei deswegen ungebremst mit dem Hinterkopf auf dem Boden geschlagen, hat er diese Behauptung nicht bewiesen.

Aus den Feststellungen des Strafurteils vom 26.03.2020 der beigezogenen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft ... Az: 22 Kls 164 Js 12700/18, ergibt sich, dass der rechtsmedizinische Sachverständige ausgeführt hat, dass "Todesursache ein schwerstes Schädel-Hirn-Trauma gewesen sei, welches durch den aufgrund des Faustschlages des Angeklagten erfolgten Sturz, des Geschädigten auf die Steinplatten ausgelöst worden sei. Ursache für das Schädel-Hirn-Trauma sei das ungebremste Aufschlagen des Schädels auf die Steinplatten gewesen. Der Faustschlag sei auch sehr kräftig gewesen, da hierdurch die Haut am Kinn eingerissen sei und sich in diesem Bereich ein sogenannter "Triggerpunkt" befinde, bei dem es, wenn er getroffen werde, zu einer vorübergehenden Ausschaltung des Gehirns kommen könne. Jedoch sei eine Bewusstlosigkeit in der Form, dass der Geschädigte nicht ansprechbar sei, nach der in Augenschein genommenen Videosequenz nicht feststellbar gewesen. Es könnte aber die Steuerungsfähigkeit dergestalt ausgeschaltet gewesen sein, dass Teile der Hirnfunktion ausgeschaltet gewesen seien und der Geschädigte sich daher nicht habe abfangen können. Hierfür könne der Gesamtablauf sprechen, da das linke Bein eine abnorme Haltung angenommen habe, was aber nicht mit Sicherheit bestimmbar sei, da das Geschehen sich innerhalb von Sekundenbruchteilen abgespielt habe.

Der Sachverständige führt weiter aus, "dass er keine zuverlässige Aussage dazu treffen könne, ob die Steuerungsunfähigkeit durch einen vorherigen Substanzgebrauch des Geschädigten herbeigeführt worden sei. Zwar seien noch zum Zeitpunkt der Obduktion 600 ng/ml Metamphetamin, 150 ng/ml Amphetamin sowie das Antidepressivum Opipramol im untertherapeutischen Bereich im Blut nachweisbar gewesen. Es sei aber nicht feststellbar, sie sich dies auf die Steuerungsfähigkeit des Geschädigten zum Tatzeitpunkt ausgewirkt haben, da der Drogenkonsum des Geschädigten insgesamt nicht bekannt sei. Die Menge der nachgewiesenen Substanzen lasse auf einen längerfristigen Gebrauch schließen. Er gehe daher davon aus, dass sich für den Geschädigten keinerlei Einschränkungen ergeben hätten, wofür auch das vorangehende Verhalten des Geschädigten, was im Video zu sehen gewesen sei, spräche. Aber auch ein etwaiger Alkoholgenuss vor der Tat habe nach Auswertung der Videosequenzen keine Einschränkungen in der Steuerungsfähigkeit ergeben.

Wegen weiterer Einzelheiten der Feststellungen zu Ziffer III. 2 d) aus dem Urteil des Landgerichts ... - 2. Große Strafkammer - vom 26.03.2020 wird auf die Anlage K 1 (Anlagenband) und dort auf Seite 29 bis 31 verwiesen.

Auch aus der im Wege des Urkundenbeweises verlesenen Niederschrift der polizeilichen Vernehmung der Zeugin ... vom 30.09.2017 (Bl. 40 ff. Bd. I der beigezogenen Ermittlungsakten 164 Js 12700/18) ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine etwaige Steuerungsunfähigkeit des später Getöteten aufgrund der Einnahme von Alkohol oder Drogen. Vielmehr hat die Zeugin in ihrer polizeilichen Vernehmung lediglich ausgesagt, dass ... an dem Tattag gegen 11.00 Uhr zwei Schnäpse Wodka 4 cl und am Nachmittag ein Mixery Mixgetränk zu sich genommen habe und seine Laune gut gewesen sei. Auch hat die Zeugin bekundet, mit ... von ... mit dem Fahrrad gefahren zu sein, was eine Strecke von 35 km ausmacht, ohne etwaige Einschränkungen oder Probleme, diese längere Fahrstrecke zu bewältigen, zu schildern.

Auch aus der in Augenschein genommenen Videosequenz vom Tatgeschehen, und hierbei insbesondere die Vorgänge vor der Tat, als X mit dem Fahrrad ankommt, dieses anschließt und sich zum Eingang des Einkaufscenters bewegt und sein Verhalten bei der späteren Auseinandersetzung lassen keinerlei körperliche Einschränkungen von ihm erkennen.

Nach diesen Feststellungen ist ein Mitverschulden des später Getöteten dergestalt, dass er aufgrund hohen Substanzgebrauchs keine Abwehrbewegungen durchgeführt habe und insoweit es zu dem harten Aufschlag seines Schädels auf die Steinplatten gekommen sei, nicht bewiesen. Die nach diesen Feststellungen verbleibenden Unklarheiten gehen zu Lasten des für ein Mitverschuldenseinwand darlegungspflichtigen Beklagten.

Das Gericht folgt im Rahmen freier Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO den insoweit von der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts ... getroffenen Feststellungen, da es sich bei dem Strafurteil um eine öffentliche Urkunde nach §§ 415, 417, 418 BGB handelt und im strafgerichtlichen Verfahren bereits ein rechtsmedizinisches Sachverständigengutachten über die Todesursache des Geschädigten und über dessen Steuerungsfähigkeit aufgrund etwaigen Substanzgebrauchs und Alkoholkonsums eingeholt worden ist.

Zwar bindet das strafgerichtliche Urteil den Zivilrichter nicht, denn dieser muss sich seine Überzeugung grundsätzlich selbst bilden. Allerdings darf er bei engem rechtlichen und sachlichen Zusammenhang von Zivil- und Strafverfahren rechtskräftige Strafurteile nicht völlig unberücksichtigt lassen und ist vielmehr gehalten, sich mit den Feststellungen auseinanderzusetzen, die für seine eigene Beweiswürdigung relevant sind (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 1988, XI ZR 8/88, zitiert nach juris). Dabei hat er die vom Strafgericht getroffenen Feststellungen nicht ungeprüft übernehmen; er hat vielmehr die in der Beweisurkunde dargelegten Feststellungen einer eigenen kritischen Prüfung zu unterziehen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 07. September 2012, Az: 9 W 4/12, zitiert nach juris).

So verhält es sich auch hier. Die 2. Große Strafkammer des Landgerichts ... hat in ihrem Strafurteil ihre Feststellungen zur Todesursache und zu einer etwaigen Steuerungsunfähigkeit des Geschädigten nach umfassender Beweisaufnahme auf die Ausführungen des rechtsmedizinischen Gutachters gestützt. Die Feststellungen zum Tatablauf beruhen u.a. auf der geständigen Einlassung des Angeklagten, ergänzt durch die anwesenden Tatzeugen sowie der mehrmaligen Inaugenscheinnahme des Videomaterials der zwei Überwachungskameras am Ein-/Ausgang des Einkaufszentrum. Die Beweiswürdigung im Urteil der 2. großen Strafkammer ist überzeugend und nicht zu beanstanden.

Das Gericht folgt daher - nach selbständiger Inaugenscheinnahme des Videos über den Tathergang in der Sitzung vom 28.04.2021 - diesen Feststellungen.

Insoweit war auch eine zunächst angeordnete Vernehmung der Tatzeugin ... nicht mehr erforderlich, da hiervon aufgrund der Inaugenscheinnahme des Videos, der im Wege des Urkundenbeweises übernommenen Feststellungen des Strafurteils der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts ... und der verlesenen polizeilichen Zeugenaussage keine weiteren Erkenntnisse hinsichtlich der körperlichen Verfassung des Geschädigten aufgrund etwaigen Drogen- und Alkoholkonsums zu erwarten waren.

Entgegen der Ansicht des Beklagten hat dieser auch nicht aus einer Notwehrlage heraus gehandelt.

Vielmehr steht auch hier nach den Feststellungen des Urteils des Landgerichts ... vom 26.03.2020 unter Ziffer IV (Anlage K 1, Anlagenband, dort Seite 37 ff.) fest, "dass eine Notwehrlage nicht vorlag, als der Beklagte dem später Getöteten den Faustschlag an das Kinn versetzte. Nach der Betrachtung des Gesamtgeschehens sei es der Angeklagte gewesen, der die Lage, in der er meinte, X einen kräftigen Faustschlag versetzen zu müssen, selbst herbeigeführt hat. Zu diesem Zeitpunkt sei das ursprüngliche Geschehen, dass die Grundlage der Auseinandersetzung gebildet hatte, abgeschlossen gewesen, da sich X und seine Begleiterin bereits auf dem Weg in das Einkaufzentrum befanden. Hätte der Beklagte zu diesem Zeitpunkt nicht die verbale Konfrontation gesucht und X und seine Begleiterin zum Umdrehen veranlasst, wäre es nicht zu einer gegenseitigen körperlichen Auseinandersetzung gekommen.

Eine Notwehrhandlung des Beklagten ist auch nicht aus der Inaugenscheinnahme der Videosequenz vom Tatgeschehen ersichtlich, was ebenfalls zu Lasten des für diesen Einwand darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten geht.

Demgegenüber ist es - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht anspruchserhöhend zu bewerten, dass der Beklagte den Tatort verlassen hat. Denn aus den Feststellungen des Urteils des Landgerichts ... vom 26.03.2020 unter Ziffer IV, letzter Absatz (Anlage K 1, Anlagenband, dort Seite 39 ff.) ergibt sich, "dass für den Beklagtes nicht zu erkennen war, dass der Geschädigte schwerste Kopfverletzungen davongetragen hatte... Aus Sicht des Angeklagten war der Geschädigte, der auf dem Rücken lag, äußerlich am Körper unverletzt...zudem habe der Geschädigte deutlich geatmet und habe sich im Beisein der Zeugin ... befunden ... die selbst nicht von einer schweren Kopfverletzung des Geschädigten ausging."

Diesen gut begründeten Feststellungen und aus der selbst in Augenschein genommenen Videosequenz vom Tatgeschehen folgt das Gericht. Insoweit ist ein Nachtatverhalten des Beklagten dergestalt, dass dieser X bewusstlos und hilflos am Boden hat liegen lassen, nicht erwiesen und daher auch nicht anspruchserhöhend zu werten.

Unter Würdigung all dieser Umstände erachtet das Gericht ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 20.000,00 € für angemessen, um für die seelischen Beeinträchtigungen, denen der Kläger infolge des unerwarteten und plötzlichen Todes seines Sohnes aufgrund einer Straftat ausgesetzt war und auch heute noch ist, einen Ausgleich zu schaffen.

Soweit der Kläger darüber hinaus die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere künftige materielle und immaterielle Schäden verlangt, war der Antrag abzuweisen.

Das Hinterbliebenengeld wird mit einer Einmalzahlung vollständig abgegolten (so auch LG Tübingen, DAR 2019, 468), da der Verlust eines Angehörigen ein einmaliger Vorgang ist. Dieser ist abgeschlossen. Aus dem Verlust des Angehörigen als solchem kann kein weiterer Anspruch entstehen.

Soweit der Kläger die Feststellung der Ersatzpflicht wegen möglicher Unterhaltsansprüche begehrt, fehlt es hierzu am erforderlichen Feststellungsinteresse. Aus dem diesbezüglichen Vortrag des Klägers ergibt sich gerade nicht eine gewisse Wahrscheinlichkeit eines in Zukunft liegenden Ersatzanspruches wegen eines behaupteten Unterhaltsschadens. Eine bloße Befürchtung reicht hierfür nicht aus.

Der Kläger kann jedoch gemäß §§ 249, 280 BGB seine außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten ersetzt verlangen, jedoch ausgehend nur von einem berechtigten Gegenstandswert von 25.289,62 €, was eine 1,3 Geschäftsgebühr in Höhe von 1.121,90 €, 20,00 € Postpauschale zuzüglich 19 % Mehrwertsteuer, mithin einen Betrag in Höhe von 1.358,86 € ausmacht.

Der Zinsausspruch für das Hinterbliebenengeld und die Rechtsanwaltskosten ergibt sich unter dem Gesichtspunkt der Rechtshängigkeit, §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 344, 709 Satz 1 und 2, 711, 713 ZPO.


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